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Eiszeit in Bozen

Eiszeit in Bozen

Titel: Eiszeit in Bozen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Rueth
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was ist denn passiert?«
    »Nichts Schlimmes, Vincenzo. Gianna hat gestern Morgen in der
Kanzlei angerufen. Ihr habt anscheinend am Wochenende exzessiv gefeiert, und
sie hat sich die ganze Nacht übergeben. Sie will vorläufig zu Hause bleiben,
das Bett höchstens verlassen, wenn der nächste Schub kommt. Wenn es nicht
besser wird, geht sie morgen zum Arzt. Mach dir keine Gedanken, Gianna will
bloß ihre Ruhe. Deshalb hat sie ihr Telefon ganz leise gestellt. Mein Gott, wie
schlimm ihre Stimme klang, so fertig habe ich mein Kind noch nie erlebt.
Deshalb hat sie mich gebeten, dir Bescheid zu sagen, aber ich hatte gestern so
viel um die Ohren, dass ich das total vergessen habe, ich Idiot!«
    Vincenzo schloss für einen Moment die Augen. Er fühlte Dankbarkeit
und eine tiefe Erleichterung. »Gott sei Dank. Ich bin fast umgekommen vor
Sorgen! Mach dir keine Vorwürfe, Alfredo. Das kann jedem passieren. Ich warte
dann, bis sie sich bei mir meldet. Ciao, grüß Nadia von mir.«
    Vincenzo legte auf, holte sich einen Caffè Doppio und aß dazu ein
paar Cantuccini. Was war er für ein Idiot. Warum machte er sich bei jeder
Kleinigkeit immer gleich solche Sorgen? Hinter einer mickrigen Erkältung
witterte er sofort die Schweinegrippe, einen Muskelkater nach einer extremen
Sporteinheit wertete er als Anzeichen von Gicht. Kaum erreichte er seine
Freundin einen Tag nicht, vermutete er ein Unglück dahinter. Was war wirklich
passiert? Nichts weiter als eine harmlose Magenverstimmung.
    Es stimmte schon: In ihrem Glücksrausch hatten sie beide wahre
Massen an köstlichem Essen in sich hineingestopft und reichlich getrunken. Er
war verblüfft gewesen, als er Montagmorgen die leeren Weinflaschen im Flur
gezählt hatte. Er selbst vertrug zwar eine Menge, aber Gianna nicht. Kein
Wunder, dass es ihr hundeelend ging.
    Er lehnte sich mit dem Espresso zurück, lächelte in sich hinein,
spürte eine tiefe Entspannung. Voller Liebe dachte er an Gianna. Wie gerne wäre
er bei ihr, um sie zu trösten, in den Arm zu nehmen, sich um sie zu kümmern.
Nichts war los. Spätestens am Abend würden sie miteinander telefonieren und
sich überlegen, was sie am Wochenende in Mailand unternehmen könnten. Dann
würden sie beide über seine übertriebenen Ängste und Sorgen lachen.
    Es waren fünf Minuten, die Vincenzo von dieser Erleichterung erfüllt
war. Fünf Minuten, in denen der Verstand den Instinkt dominierte, die er sicher
war, dass seine Phantasie ihm einen Streich gespielt hatte. Dann bahnten sich
ohne objektiven Grund erneut Ungewissheit, Angst und ein unerklärliches Gefühl
von Bedrohung ihren Weg. Selbst wenn es Gianna schlecht ging: Warum rief sie
dann ihren Vater an, aber nicht ihn? Außerdem war sie sehr pflichtbewusst.
Sogar mit Fieber war sie schon in die Kanzlei gegangen. Und auf einmal blieb
sie wegen einer harmlosen Magenverstimmung im Bett?
    Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und beschwor
sich: Hör auf damit, du Spinner. Mach dich nicht verrückt.
Es ist alles in Ordnung, Alfredo hat persönlich mit ihr gesprochen. Sie hat
gesagt, sie will ihre Ruhe. Woher weißt du denn, wie schlecht es ihr geht? Lass
es sein und konzentriere dich auf deine Arbeit!
    Zäh wie Kaugummi verstrichen die Stunden am Schreibtisch.
Mittags aß er bei seinen Eltern, denen nicht verborgen blieb, dass ihren Sohn
etwas bedrückte. Lustlos stocherte er in seinem Bauerngröstl, einer Südtiroler
Spezialität mit Rindfleisch und Kartoffeln, aß kaum etwas. Nachmittags zwang er
sich, Marzoli auf einen Kaffee einzuladen, in der Hoffnung, sein
liebenswürdiger Kollege könnte ihn auf andere Gedanken bringen. Vergeblich,
Marzolis humorvolle Schilderungen der Streiche seiner kleinen Tochter konnten
Vincenzo nicht ablenken, immer wieder blickte er nervös auf die Uhr.
    Auf dem Weg nach Hause fasste er einen Plan. Falls Gianna nicht von
sich aus anrief, würde er es den ganzen Abend probieren. Hatte er sie bis
Mittwochmorgen nicht erreicht, würde er Alfredo eindringlich bitten, zu Gianna
zu fahren. Er sollte seinen Schlüssel mitnehmen und damit die Wohnung betreten,
wenn sie nicht aufmachte. Vielleicht lag sie hilflos da, zu schwach, um das
Telefon zu erreichen? Er spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. Warum wusste
er schon jetzt, dass Alfredo niemanden antreffen würde?
    ***
    Forensische Psychiatrie
    Er hatte sich das Käppi tief ins Gesicht gezogen. Bloß
niemandem begegnen. Andererseits: Wer sollte ihm über den Weg laufen? Niemand
außer

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