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Eiszeit in Bozen

Eiszeit in Bozen

Titel: Eiszeit in Bozen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Rueth
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Schneeverwehungen.
Schneefallgrenze bis zum Abend auf circa tausenddreihundert Meter absinkend.
Achtung! Im Übergangsbereich der Front können vor allem in den Bergen lokal
unwetterartige Gewitter auftreten! Die Aussichten für die nächsten Tage: Mit
einer lebhaften Nord- bis Nordwestdrift gelangen polare Luftmassen auf direktem
Weg in den Alpenraum. Mitgeführte umfangreiche Störungen dringen über den
Alpenhauptkamm nach Süden vor. Die Schneefallgrenze sinkt allmählich bis auf
rund fünfhundert Meter. Der Wind lässt zögernd nach. Da sich vorerst keine
Nordföhn-Wetterlage abzeichnet, kann man von einem frühen jahreszeitlichen
Wechsel sprechen.«
    Sofern nicht längst das Unaussprechliche geschehen war, blieben
Gianna vierundzwanzig Stunden. Sie hatten noch einen Tag, um sie zu finden und
dem letzten Spielzug Oberrautners zu entgehen. Warum meldete Hans sich nicht?
Vincenzo rief ihn an, die Mobilbox sprang an. »Hans, melde dich bitte,
dringend, in einer Stunde muss ich eine völlig verrückte Aktion durchführen.
Hast du Gianna? Geht es ihr gut?«
    Er hatte kaum aufgelegt, als sein Handy klingelte. Valentin. »Hans,
Gott sei Dank, hast du sie?«
    »Ich war gerade in einem Funkloch. Tut mir leid, Vincenzo,
Fehlanzeige. Im Marmolatagletscher ist sie nicht. Ich habe alles bis in den
letzten Winkel abgesucht. Ich befürchte, wir haben uns geirrt. Eigentlich muss
ich sagen: Hoffentlich haben wir uns geirrt. Das Wetter kippt, Vincenzo, hier
pfeift ein Wind, das ist unglaublich. Ich kann mich kaum auf den Beinen halten.
Ich komme jetzt runter.«
    ***
    Blaues Schiff, 15.58 Uhr
    Das »Blaue Schiff« in der Laubengasse war keinen Kilometer
von der Questura entfernt. Kurz vor vier fuhren mehrere Streifenwagen mit
eingeschaltetem Blaulicht vor. Vor den Augen einiger Schaulustiger stürmten
uniformierte Beamte aus den Wagen in das Café, allen voran Vincenzo, der sich
nicht erinnern konnte, wann er das letzte Mal eine Uniform getragen hatte.
    Tenente Alessio Savini hatte seinem guten Freund aus der
Ausbildungszeit gern den Gefallen getan. Binnen kürzester Zeit trieb er sechs
Carabinieri und Appuntati auf, die in Zivilkleidung das Lokal betreten und vor
dem Eintreffen der Kollegen aus der Questura sämtliche Gäste und Angestellten
über den Einsatz informiert hatten. Savini hatte ausschließlich zweisprachige
Polizisten ausgewählt, um jeden Gast unmissverständlich instruieren zu können.
    Vincenzo wusste, dass Oberrautner irgendwo stand, um das Spektakel
aus einem Versteck heraus zu beobachten. Entsprechend energisch gestaltete er
seinen Auftritt. Auch einige der Gäste, es waren insgesamt fünfzehn, legten ein
bemerkenswertes schauspielerisches Talent an den Tag. Sie spielten begeistert
mit und weigerten sich zunächst, sich in die Polizeiwagen führen zu lassen,
stießen wüste Beschimpfungen und Drohungen aus. »Polizeistaat«, »unerhört, das
hat Konsequenzen«, »bin Rechtsanwalt, das wird Ihnen leidtun«, »ich mache Sie
fertig« waren noch die milderen Äußerungen.
    Wenige Minuten später setzte sich die seltsame Autokarawane mit den
Gästen, Angestellten und den Polizisten in Zivil in Richtung Largo Giovanni
Palatucci in Bewegung. Vincenzo bedeutete seinen Kollegen, dass er zu Fuß in
die Questura zurückkehren werde. Er erwartete den Anruf des Spielführers .
    Doch das Handy blieb stumm, und das nicht nur auf dem Weg in die
Questura, sondern den ganzen Tag.
    Sie hatten alles getan, was Oberrautner verlangte, aber ob es
ausreichte, wussten sie nicht. Gleichzeitig hatten sie nichts unversucht
gelassen, um Gianna zu finden. Sie war nicht im Marmolatagletscher, Leo Handl
erwies sich nicht als Verbündeter aus der Vergangenheit. Wo sie versteckt war,
das war noch immer unbekannt. Vielleicht waren die Hinweise auf das Eis nur ein
gelungenes Ablenkungsmanöver von Oberrautner.
    Warum hatte sich dieser Mensch ausgerechnet Gianna ausgesucht? Warum
ihn, Vincenzo? Oberrautner kannte ihn nicht, hatte überhaupt nichts mit ihm zu
tun. Reichte es aus, dass Vincenzo vor einem Jahr eine Weile die Titelseiten
der Zeitungen geschmückt hatte? War er deswegen ein geeignetes Zielobjekt, das
Oberrautner ermöglichte, seinen Hass auf den Polizeiapparat auszuleben? Und
eine unbeteiligte Rechtsanwältin aus Mailand, die lediglich das Pech hatte,
Vincenzos Freundin zu sein? Vielleicht hasste er auch sie, weil sie als
Juristin aus Oberrautners kranker Sicht das Polizeisystem unterstützte? Aber
eigentlich ergab das alles keinen

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