Eiszeit
leisten?«
»So was in der Art.«
»Hör zu, wenn das Ding unter meinen Händen explodiert und mich dabei nicht sofort tötet ... um Gottes willen, keine erste Hilfe. Erledige mich einfach.«
Harry zuckte zusammen und begann zu protestieren.
»Ich bitte nur um Gnade«, sagte Pete geradeheraus.
In den letzten Monaten hatte Harry diesen großen Mann mit dem breiten Gesicht zu schätzen gelernt. Unter Pete Johnsons barschem Äußeren, unter den Schichten der Ausbildung und des Trainings, unter der kühlen Kompetenz, versteckte sich ein Kind, das die Wissenschaft, die Technik und das Abenteuer liebte. Harry erkannte sehr viel von sich selbst in Pete wieder. »Die Gefahr, daß das Ding hochgeht, ist doch nicht sehr groß, oder?«
»Fast keine«, versicherte Pete ihm.
»Das Gehäuse hat es auch überstanden, daß wir es mit Gewalt aus dem Schacht gezogen haben.«
»Beruhige dich, Harry. Bei der letzten Bombe hat es doch auch gut geklappt, oder?«
Sie knieten neben dem Stahlzylinder nieder. Harry hielt die Taschenlampe, während Pete einen kleinen Plastikkasten mit Präzisionswerkzeugen öffnete.
»Es ist ein Kinderspiel, diese Scheißdinger zu entschärfen«, sagte Pete. »Das ist nicht unser Problem. Unser Problem ist, acht weitere aus dem Eis zu holen, bevor die Uhr Mitternacht schlägt und unser Eisberg zu einem Kürbis wird.«
»Wir holen eine pro Stunde raus.«
»Aber wir werden immer langsamer«, sagte Johnson. Mit einem kleinen Schraubenzieher begann er das mit der Öse versehene Ende des Zylinders zu entfernen. »Wir haben fünfundvierzig Minuten gebraucht, um die erste rauszuholen. Und fünfundfünfzig für die zweite. Wir werden bereits müde und langsamer. Das ist der verdammte Wind.«
Es war ein mörderischer Wind, der mit solcher Kraft gegen Harrys Rücken drückte und schlug, daß er das Gefühl hatte, er stünde inmitten eines Hochwasser führenden, ungestümen Flusses. Die Luftströmungen waren fast so deutlich wahrzunehmen wie die in tiefem Wasser. Die Windgeschwindigkeit betrug nun sechzig oder siebzig Stundenkilometer, erreichte in Böen sogar hundert und näherte sich stetig und schnell der Sturmstärke. Später würde der Wind buchstäblich eine tödliche Kraft haben.
»Du hast recht«, sagte Harry. Obwohl sie praktisch Kopf an Kopf über der Sprengladung knieten, war seine Kehle von der Anstrengung rauh, sich über den Sturm verständlich zu machen. »Es hilft kaum etwas, zehn Minuten in der warmen Kabine eines Schneemobils zu sitzen und dann die nächste Stunde in so schlechtem Wetter zu verbringen.«
Pete drehte die letzte Schraube heraus und entfernte das fünfzehn Zentimeter große Endstück von dem Zylinder. »Auf wie tief ist die echte Temperatur gefallen? Was schätzt du?«
»Auf minus fünfzehn Grad.«
»Und mit dem Windfaktor?«
»Minus dreißig Grad.«
»Fünfunddreißig.«
»Vielleicht.« Selbst sein schwerer Thermalanzug konnte ihn nicht schützen. Die kalte Klinge des Windes stach unablässig auf seinen Rücken ein, durchdrang den Sturmanzug, peinigte sein Rückgrat. »Ich habe nie damit gerechnet, daß wir zehn Ladungen rausholen können. Ich wußte, daß wir langsamer werden. Aber wenn wir nur fünf oder sechs entschärfen, haben wir uns vielleicht genug Raum verschafft, um die Explosion um Mitternacht überleben zu können.«
Pete klopfte gegen das fünfzehn Zentimeter große Stück des Gehäuses, und der Zünder glitt in seinen Handschuh. Er war durch vier federnde Drahtspulen mit dem Rest des Zylinders verbunden: rot, gelb, grün und weiß. »Wahrscheinlich ist es besser, morgen zu erfrieren, als heute nacht in Stücke gerissen zu werden.«
»Tu mir das ja nicht an«, sagte Harry.
»Was?«
»Verwandle dich bloß nicht in einen zweiten Franz Fischer.«
Pete lachte. »Oder in einen zweiten George Lin.«
»Diese beiden Jammerbrüder.«
»Du hast sie ausgewählt«, sagte Pete.
»Und ich übernehme die Verantwortung dafür. Ach, verdammt, sie sind gute Leute. Es ist nur so, daß sie unter so starkem Druck ...«
»... zu Arschlöchern werden.«
»Genau.«
»Wird Zeit für dich, von hier zu verschwinden«, sagte Pete, als er wieder in den Werkzeugkasten griff.
»Ich halte dir die Taschenlampe.«
»Den Teufel wirst du tun. Leg sie so hin, daß sie den Zünder beleuchtet, und zieh Leine. Ich brauche dich für den Gnadenakt, falls es dazu kommen sollte.«
Zögernd kehrte Harry zum Schneemobil zurück. Er kauerte sich hinter dem Fahrzeug nieder, um Schutz vor
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