Eiszeit
Interferenzen fertig zu werden, die in polaren Breiten und im tiefsten Winter einen Sturm begleiteten. Gunvald konnte nicht mal mehr den starken Sender der amerikanischen Basis in Thule empfangen. Er versuchte es auf allen Frequenzen, doch auf jeder einzelnen hatte der Sturm die Herrschaft übernommen. Die einzigen von Menschen erzeugten Geräuschfetzen, die er entdeckte, waren Bruchstücke der Musik einer Big Band, die in einem Zyklus von fünf Sekunden erklang und wieder verstummte. Die Lautsprecher schienen in statischem Rauschen zu ersticken: ein jammerndes, schreiendes, kreischendes, zischendes, knisterndes Konzert des Chaos, das aber von keiner einzigen menschlichen Stimme begleitet wurde.
Er kehrte auf die Frequenz zurück, auf der Harry wahrscheinlich seinen Funkspruch erwartete, beugte sich zum Gerät hinab und hielt das Mikrofon vor seine Lippen, als könne er eine Verbindung erzwingen. »Harry, hörst du mich?«
Rauschen.
Zum vielleicht fünfzigsten Mal las er seine Kennummer und dann die ihre ab und sprach dabei immer lauter, als könne er die Interferenzen einfach übertönen.
Keine Antwort. Es lag nicht daran, daß er sie aufgrund des Rauschens nicht hörte. Sie empfingen seinen Funkspruch gar nicht erst.
Er wußte, daß er eigentlich aufgeben konnte.
Er warf einen Blick auf das Notizbuch mit Spiralbindung, das aufgeschlagen auf dem Tisch neben ihm lag. Obwohl er dieselbe Seite schon mindestens ein Dutzend Mal betrachtet hatte, lief ihm noch immer eine Gänsehaut über den Rücken.
Er durfte nicht aufgeben. Sie mußten die Natur des Ungeheuers in ihrer Mitte kennen.
Er versuchte erneut, sie zu erreichen.
Rauschen.
FÜNFTER TEIL - DER TUNNEL
22:45 - DETONATION IN EINER STUNDE FÜNFZEHN MINUTEN
Mit schwerer Winterausrüstung bekleidet, stand Nikita Gorow auf der Brücke der Pogodin und suchte mit seinem Nachtfernglas methodisch ein Drittel des Horizonts ab. Dabei achtete er auf anderes Treibeis als den Berg, auf dem sich die Edgeway-Gruppe befand. Dieser riesige weiße Koloß lag direkt vor dem U-Boot und wurde noch immer von der tiefen Strömung getrieben, die ihren Ursprung dreihundertvierzig Fuß unter der Oberfläche hatte und bis auf siebenhundertundachtzig Fuß hinabging.
Das sturmgepeitschte Meer, das auf allen Seiten des Schiffs brodelte, zeigte nichts von seiner vertrauten, rhythmischen Bewegung. Es beeinträchtigte das Schiff auf unvorhersehbare Art und Weise, so daß Gorow sich nie auf seinen nächsten Angriff vorbereiten konnte. Ohne Warnung rollte das Boot so heftig nach Backbord, daß alle Männer auf der Brücke zur Seite geworfen wurden, und der Kapitän prallte mit Emil Schukow und Semichastny zusammen. Er löste sich wieder von ihnen und ergriff einen von Eis überzogenen Teil der Reling, als ein Wasserschwall über die Finne brach und die Brücke überflutete.
»Ich wäre lieber auf siebenhundert Fuß Tiefe!« rief Schukow, als das Schiff sich wieder aufrichtete.
»Ah! Sehen Sie?« rief Schukow. »Als Sie so gut dran waren, haben Sie es nicht zu schätzen gewußt.«
»Ich werde mich nie wieder beschweren.«
Der Eisberg bot keine Leeseite mehr, auf der die Ilja Pogodin Schutz fand. Die volle Wucht des Sturms trieb den Berg von hinten an, und beide seiner langen Flanken waren dem gnadenlosen Wind ausgesetzt. Das Schiff war gezwungen, an der Oberfläche auszuharren. Es stampfte und rollte, schaukelte und hob und senkte und wälzte sich, als wäre es ein Lebewesen in seinen letzten Zuckungen. Eine weitere riesige Welle schlug auf der Steuerbordseite gegen die Hülle, raste die Finne empor und warf auf der anderen Seite wahre Niagarafälle von Gischt hinab. Zum wiederholten Male wurden alle Männer auf der Brücke völlig durchnäßt. Die meiste Zeit über lag das Boot schwer auf der Backbordseite, auf dem Rücken einer monströsen schwarzen Dünung, die gleichzeitig bedrohlich und monoton war. Alle Personen auf der Brücke waren, wie das Metall, das sie umgab, von dünnem Eis überzogen.
Wo Gorows Gesicht nicht von der Brille oder der Kapuze geschützt wurde, war es von einer dicken Schicht Lanolin bedeckt. Obwohl sein Posten nicht erforderte, daß er direkt in den teuflischen Wind sah, brannte die kalte Luft fürchterlich auf seiner Nase und den Wangen.
Emil Schukow hatte ein Halstuch über dem unteren Teil seines Gesichts getragen, doch es hatte sich gelöst. Auf dem ihm zugeteilten Posten mußte er direkt in den Sturm schauen, und das war ohne irgendeinen
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