El Chapo - Beith, M: Chapo - The Last Narco
blanken Unsinn. 45
Was auch immer die genauen Gründe gewesen sein mögen, zu Beginn des neuen Millenniums war Chapo abmarschbereit, und seine Partner im Sinaloa-Kartell wollten ihn wieder in ihre Hierarchie eingliedern. Sie würden ihn bei seiner Flucht unterstützen.
Mit den Planungen dafür hatte Chapo bereits ein Jahr zuvor begonnen. Ursprünglich wollte er eine Meuterei inszenieren und im Chaos entkommen. Solch dreiste Ausbrüche waren in mexikanischen Gefängnissen schon öfter gelungen, in Puente Grande hatte es so etwas allerdings noch nicht gegeben. Chapo ging jedoch davon aus, dass es funktionieren könnte. Trotzdem bestand das Risiko eines massiven und schnellen Eingreifens der Federales oder sogar der Armee, sobald die Meuterei ruchbar würde.
Die mexikanische Unterwelt bekam schnell Wind von Chapos Plänen, und mindestens ein Mithäftling informierte durch einen anonymen Anruf die Gefängnisdirektion von Puente Grande. Überall kursierten die Gerüchte, Chapo wolle ausbrechen, habe es vielleicht sogar schon getan, aber die Regierung stellte sich taub. Es gab sogar Spekulationen, dass Bundesrichter bestochen worden seien, um Chapo entkommen zu lassen. 46
Zwei Jahre nach seiner Verhaftung war Chapo 1995 wegen dreier Delikte verurteilt worden: illegaler Waffenbesitz, Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, sprich Drogenschmuggel, und seine Verwicklung in den Tod von Kardinal Juan Jesús Posadas Ocampo, der am 24. Mai 1993 auf dem Flughafen von Mexiko-Stadt erschossen worden war. Der Prozess hatte wie fast alle Verhandlungen über Kapitalverbrechen unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit nur einem Richter und ohne Jury in einem improvisierten Gerichtssaal hinter den Mauern des Bundesgefängnisses von Almoloya de Juárez im Bundesstaat Mexiko stattgefunden.
Nachdem Chapo einige Jahre im Gefängnis verbracht hatte, sprach ihn ein Berufungsrichter von der Mordanklage frei. Zyniker beklagten, Chapo habe den Richter bestochen, und mutmaßten, er würde sich bald ganz aus dem Gefängnis freikaufen. 47
Am 12. Oktober 2000 meldete sich die PGR zu Wort: »(Gerüchte), Sr. Joaquín Guzmán Loera könnte bald seine Freiheit wiedererlangen, sind völlig falsch und entbehren jeder Grundlage. Sr. Joaquín Guzmán Loera … ist gegenwärtig im Hochsicherheitsgefängnis Puente Grande, Jalisco, inhaftiert und verbüßt dort eine Strafe von zwanzig Jahren und neun Monaten«, ließ die oberste Strafverfolgungsbehörde verlauten. 48
Wie sehr sie sich doch irrte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Chapo bereits Plan B in Gang gesetzt. Obwohl im Prinzip das ganze Gefängnis finanziell von ihm profitierte, hatte er sich insbesondere mit dem bereits erwähnten El Chito angefreundet. Chapo und El Chito wurden regelrechte Vertraute, gelegentlich durfte der Wärter sogar Eréndira in Chapos Auftrag Blumen und Geschenke überbringen.
Nur wenige Monate später war der Zeitpunkt gekommen. Die Flucht kostete Chapo geschätzte 2,5 Millionen Dollar. Dutzende Wärter mussten geschmiert werden, wie auch die Polizei von Jalisco, um sich die vierundzwanzig Stunden zu erkaufen, die er benötigte, den Bundesstaat zu verlassen und sich der militärischen Großfahndung zu entziehen, die, wie er wusste, unvermeidlich einsetzen würde. 49
Allerdings wurde den bestochenen Wärtern eine falsche Geschichte erzählt. Man redete ihnen ein, Chapo wolle eine Ladung Gold aus dem Gefängnis schmuggeln. Das Gold, das offenbar aus einer von Häftlingen betriebenen Schmelze im Gefängnis stammen sollte, gehörte zwar dem Staat, doch der Diebstahl würde für die Wärter keine gravierenden Konsequenzen haben. So wussten nur Chapo und El Chito, dass
unter der Schmutzwäsche statt des Goldes Chapo versteckt sein würde. 50
Eine illegale Nummer anzukünden und gleichzeitig die wahren Gründe zu verschleiern, zählt zu den ältesten und besten Tricks des Gewerbes. So wie Spione sich schon seit langem überall auf der Welt immer wieder als Schmuggler ausgaben und mexikanische Drogenkuriere so taten, als transportierten sie nur harmlose Ware, während sie in Wahrheit harte Drogen im Gepäck hatten, nutzte Chapo diesen Trick und ließ die Wärter im Glauben, der Wäschekorb enthalte gestohlenes Gold. Es war praktisch narrensicher.
Nur Tello Peón stand noch im Weg. Am 15. Januar 2001 hatte der stellvertretende Polizeichef einen Anruf der Nationalen Menschenrechtskommission erhalten, in dem man ihn darauf hinwies, dass die Zustände in Puente Grande mehr und mehr
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