Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
El Silbador

El Silbador

Titel: El Silbador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
Vom Netzwerk:
stickige Luft wurde immer klarer, ein Zeichen, daß er sich dem Ausgang näherte. Dann war sternklarer Himmel über ihm, kühle Nachtluft umfing ihn wie eine köstliche Erquickung, ein verschlafener Vogel flatterte. — Frei!
    Nachdem Graf Villaverde y Bielsa bis ungefähr gegen Mitternacht gewartet hatte, hielt er die Einsamkeit nicht länger aus. Er stieg in den Gang hinunter und ging zur Zelle Michels. Vorsichtig, Zentimeter um Zentimeter, bewegte er den Steinquader von seinem Platz. Als alles zum Aufstieg bereit war, fragte er leise in die Dunkelheit: »Hallo, Senor Baum, hört Ihr mich?«
    Keine Antwort. Er fragte noch einmal. Seine Stimme wurde lauter. Dann stieg er hinauf. Jeden Millimeter tastete er ab. Von dem Gefangenen war keine Spur zu finden. Kopfschüttelnd zog er sich zurück. Was mochte das bedeuten?
    Der Graf hastete in seine eigene Zelle. Dort preßte er das Ohr auf die Klappe in der Tür. So konnte man, wenn auch nur gedämpft, wahrnehmen, was draußen vor sich ging. Da hörte er Schritte den Gang hinunterkommen. Sie hielten vor der Tür links neben ihm, wo der Schäfer Pedro lag.
    Er hörte, wie einer den anderen fragte:
    »Hat sie dir gesagt, wo wir die Leiche einbuddeln sollen?«
    »Ja, hinter den Ställen, bei den Wirtschaftsgebäuden. Los, pack an!«
    Dann entfernten sich die Schritte, und es war still wie in jeder Nacht der vergangenen zwei Jahre.
    »Das war Pedros Leiche«, murmelte Esteban und ließ sich auf seiner Pritsche nieder. Wo mochte nur Michel Baum sein?
    Plötzlich sprang der Graf wie von einer Natter gestochen auf. Hatte er nicht genau gehört, daß die Wächter sich mit der Leiche entfernt hatten, ohne daß ein Schlüsselgeräusch zu vernehmen gewesen war? War die Zellentür nebenan offen?
    Hastig machte er sich an die Arbeit. Minuten später stand er drüben im Gang. Gerade wollte er die Tür öffnen, als von draußen der Schlüssel in das Schloß gesteckt wurde. Er hörte noch das Geräusch des sich vorschiebenden Riegels. Dann war es mit seiner Kraft vorbei. Er streckte die geballte Faust zum Himmel empor und schluchzte:
    »Sei verflucht, Gott! Was habe ich dir getan, daß du mir den letzten Ausweg aus dieser Hölle verwehrst?«
    Taumelnd stieg er hinunter in den Gang.
    Tränen rannen ihm über die eingefallenen Wangen, als er wieder auf seiner Pritsche lag. Langsam verdämmerte die Nacht. Die ersten Lichtfinger des heraufkommenden Tages drangen durch das vergitterte Fensterchen seiner Zelle.
    Ein, zwei Stunden mochten seit Beginn des Tages vergangen sein, da wurde plötzlich hastig das Guckloch an seiner Tür aufgerissen. Draußen hörte man aufgeregte Stimmen und hastiges Hin-und Herlaufen.
    »Gott sei Dank«, vernahm er die Stimme des Wächters, »der ist noch da.«
    Mit einem Satz war der Graf auf den Beinen.
    »Was ist los?« fragte er den Wächter.
    Der war so verwirrt, daß er bereitwilligst Auskunft gab.
    »Der Silbador ist uns durch die Lappen gegangen in der letzten Nacht.«
    Silbador, überlegte der Graf, damit konnte man nur Michel Baum meinen.
    In ihm frohlockte alles. Als sich die Klappe wieder geschlossen hatte, fiel er auf die Knie und betete inbrünstig zu Gott, den er vor ein paar Stunden verflucht hatte, er möge ihn durch den Silbador freiwerden lassen.
    Wie wandelbar der Mensch doch in seinen Stimmungen ist!
    Das ganze Schloß Villaverde hallte wider von der hysterischen Stimme der Gräfin. Pferde wurden gesattelt. Musketen wurden ausgeteilt. Marina schrie ihre Diener an. »Wer mir den Kopf des Silbador bringt, dem zahle ich tausend Pesetas in Gold!« Tausend Pesetas für einen Kopf. Salome hatte einst den Tanz der Schleier für einen Kopf tanzen müssen. Man konnte ihr den Lohn ohne weiteres versprechen; denn man hatte ja den Mann, der zu dem Kopf gehörte.
    Ein altes süddeutsches Sprichwort besagt: Die Nürnberger hängen keinen, sie hätten ihn denn.Solche oder ähnliche Gedanken mochten wohl auch die Diener haben, die nun ausgeschickt wurden, um den Silbador einzufangen.
    Ausgerechnet den Silbador, von dessen Kühnheit und List man schon die schrecklichsten Dinge vernommen hatte. Es war nicht einer unter der Meute der Jäger, der sich wirklich einbildete, die tausend Pesetas verdienen zu können.
    Es war gegen Mittag, als Marina mit dem falschen Grafen in ihrem Salon saß.
    »Laß ihn laufen«, sagte Fernando. »Was hast du davon, wenn der Bursche unten im Gefängnis sitzt?«
    »Ich will, daß er mein Gefangener bleibt, genau wie Esteban. Ich muß

Weitere Kostenlose Bücher