El Silbador
zufrieden bin, so wird das dein Schaden nicht sein.«
»Ja, Senor«, antwortete Juan und ließ sich ins Gras nieder.
»Wie lange bist du schon auf Schloß Villaverde?«
Juan dachte einen Augenblick nach.
»Es werden bald zwei Jahre sein.«
»Ist dir in all dieser Zeit niemals etwas Besonderes aufgefallen?« Juan sah den Silbador erstaunt an. »Was soll mir aufgefallen sein, Senor?«
»Nun, denke zum Beispiel einmal an den alten Grafen. Mit dem scheint doch nicht alles in Ordnung zu sein, nicht wahr?«
Trotz der ernsten Situation, in der sich Juan befand, konnte er ein Grinsen nicht unterdrücken.
»Der ist verrückt. Ich habe schon des öfteren gehört, wie er zu Don Esteban sagte: ,Du bist gar nicht mein Sohn. Mein Sohn war ein großer Gelehrter, der ein neues Schießgewehr erfunden hat. Ihr müßt wissen,Don Silbador, daß der Alte nicht mehr weiß, was er redet. Doktor Garcia kommt manchmal auf das Schloß, um nach ihm zu sehen.«
»Na also«, meinte Michel befriedigt, »da haben wir ja schon einen Punkt, der ungeheuer wichtig ist. Hat Doktor Garcia schon vor deiner Zeit im Schloß verkehrt oder ist er ein Bekannter von Don Esteban?« Juan zuckte die Schultern.
»Das weiß ich nicht. Ich kümmere mich wenig um die Angelegenheiten der Herrschaft.« »Bist du deiner Herrschaft zugetan?« Juan sah Michel verwundert an.
»Was heißt zugetan, Don Silbador. Man bekommt seinen Lohn und ist zufrieden. Für unsereinen gibt es auf dieser dreckigen Welt ja keine andere Möglichkeit.«
»Na, na«, meinte Michel belustigt. »Du scheinst mir gar nicht eine so knechtisch fromme Natur zu sein. Hast du niemals daran gedacht, dir ein eigenes Leben aufzubauen?« »Doch, doch«, nickte Juan und dachte wehmütig an die tausend Peseten, die er hätte verdienen können, wenn jetzt an seiner Stelle hier dieser Silbador im Grase säße und er seine Waffen noch in der Hand hielte.
Michel stellte jetzt eine sonderbare Frage.
»Was meinst du, was einem Menschen, bei dem Geld keine große Rolle spielt, seine Freiheit wert wäre, wenn er ohnmächtig irgendwo im Kerker sitzt?«
Juan fand die Frage tatsächlich seltsam. Aber er stellte Berechnungen an. Waren tausend Peseten nicht eine Menge Geld für nichts weiter als die Freiheit? Juan hatte keinen rechten Begriff von der persönlichen Freiheit eines Menschen. Er konnte sich wahrscheinlich auch nichts anderes darunter vorstellen als die Freiheit vom Gefängnis. »Tausend Peseten müßte sie wert sein«, meinte er bedächtig. Michel lachte.
»Fürwahr, du schätzt die Freiheit nicht sehr hoch ein, amigo. Sagen wir zweitausend. Willst du
dir zweitausend Pesetas verdienen?«
Juan starrte sein Gegenüber ungläubig an.
»Willst du?« fragte Michel erneut.
»Wer möchte das nicht, Senor?«
»Muy bien. So weit wären wir. Was würdest du sagen, wenn der alte Graf gar nicht so verrückt wäre, wie es den Anschein hat, wenn zum Beispiel das, was er über den falschen Sohn sagte, Wahrheit wäre?«
»Ihr glaubt, daß Don Esteban nicht der richtige Sohn des Grafen ist?« stellte Juan die erstaunte Gegenfrage.
»Ich glaube nicht nur, daß es so ist, sondern ich weiß es. Vorgestern nacht habe ich den richtigen Grafen selbst gesprochen.«
»Da ... da ... wart... Ihr doch bereits in dem Verließ?!«
»Eben da habe ich ihn getroffen. Du weißt doch, daß in den Gewölben schon seit Jahren ein Gefangener lebt, nicht wahr? Das hat sich sicherlich herumgesprochen.« »Natürlich weiß ich das. Es ist der Anführer einer Räuberbande, der vor Jahren einmal einen Überfall auf das Schloß ausführen wollte, aber schon vorher festgenommen werden konnte. Damals war ich noch nicht hier in der Gegend.« »Ein schönes Märchen, was man euch da aufgebunden hat. Ist dir noch nicht aufgefallen, daß ein Bandit vorden Richter gehört und nicht als Privatgefangener in ein Schloßverließ?« »Por Dios, das ist richtig.«
»Muy bien. Mach dich von dem Gedanken frei, daß der Gefangene ein Bandit sei, und denke an die Worte des alten Grafen.«
Juans Gesicht wurde zusehends länger. »Por Diablo!« rief er mit aufgerissenen Augen. »So ist doch nicht etwa der Gefangene der richtige Graf?«
Michel erzählte ihm nun, was er von der Angelegenheit wußte. Dann fragte er:
»Glaubst du nun, daß dir der echte Graf eine hohe Belohnung bezahlen wird, wenn du hilfst, ihn
zu befreien?«
Juan nickte. Auf einmal war ihm der gefürchtete Silbador gar nicht mehr so unsympathisch. Michel stieg vom Pferd und
Weitere Kostenlose Bücher