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El Silbador

El Silbador

Titel: El Silbador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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einem Fremden ins Gesicht, der in abgerissenen Kleidern,
    aber mit Degen und Büchse bewaffnet, im Rahmen der Tür stand.
    Der Pfarrer ermannte sich als erster.
    »Wer bist du, Fremder?«
    »Warum willst du das wissen? Was könnte es dir nützen, wenn du es wüßtest? Ich habe euerm Gespräch entnommen, daß du sowieso nicht an die Schuld des falschen Grafen glaubst. Aber in mir hast du einen Kronzeugen.«
    Der Pfarrer war von der formlosen Anrede des Fremden reichlich überrascht, konnte sich aber
    genügend beherrschen, um einen gewissen Gleichmut zur Schau zu tragen.
    »Willst du mir nicht meine Frage beantworten?« erwiderte er ruhig. »Ich möchte deinen Namen
    wissen.«
    Michel Baum trat gelassen in den Raum und setzte sich mit der größten Selbstverständlichkeit der Welt in einen Stuhl, der dem Pfarrer gegenüberstand.
    »Ich habe nichts zu verbergen,« sagte er, »ich heiße Michel Baum, ein Name, der dir höchstens sagen wird, aus welchem Land ich komme. Hier irn Gebirge nennen sie mich schlechthin: El Silbador.«
    Wie um die Wahrheit seiner Worte zu bestätigen, begann er auf einmal laut zu pfeifen.
    Dem Pfarrer liefen kalte Schauer über den Rücken. Er hob die Hand und rief entsetzt:
    »Halt ein, Sohn des Teufels! Willst du nicht deine Seele im Gebet erleichtern?«
    Michel sah ihn mit einem unbestimmten Ausdruck inden Augen an. Dann schüttelte er den Kopf
    und fragte sanft:
    »Glaubst du, es mit einem Kinde zu tun zu haben? Mache ich den Eindruck, daß ich meine Seele im Gebet erleichtern müßte?«
    »Jeder Mensch hat das Beten nötig«, erklärte der Pfarrer kategorisch.
    »Möglich«, antwortete Michel gleichgültig. »Einen kenne ich zumindest, der fest daran glaubt, daß ihn das Gebet aus seiner unverdienten Gefangenschaft befreien wird. Es liegt an euch beiden, ihn nicht zu enttäuschen.« Da mischte sich der Alcalde ins Gespräch. »Wen meint Ihr, Senor Silbador?«
    »Den echten Grafen, Esteban de Villaverde y Bielsa, der in dem Verließ seines eigenen
    Schlosses der Freiheit entgegenschmachtet.«
    »Erzählt, was Ihr davon wißt, Senor«, bat der Alcalde dringed.
    Und Michel begann seine Geschichte, wobei er, wenn sich Gelegenheit dazu bot, den Pfarrer mit Du, den Alcalden aber mit Ihr ansprach, worüber sich der Pfarrer sehr verwunderte. Als Michel geendet hatte, fragte er dann auch:
    »Warum läßt du es mir gegenüber an der nötigen Höflichkeit fehlen, mein Sohn? Weshalb nennst du mich Du?«
    Michel sah ihn erstaunt an.
    »Hast du mich nicht zuerst mit Du angesprochen? Wie kannst du erwarten, daß ich dir mehr Höflichkeit entgegenbringe als du mir? In meiner Heimat regiert ein König, der auf seinen Hausorden den schönen Spruch »SUUM CUIQUE« geschrieben hat. Danach richte ich mich, wenn ich mir auch ansonsten nicht viel aus Königen mache.«
    Irgendwie gefiel dem Pfarrer die selbstverständliche Offenheit des jungen Mannes. Ein kleines Lächeln stahl sich auf seine Lippen, als er antwortete:
    »Ich bin und bleibe ein Diener Gottes, ob du mich nun Du oder Ihr nennst. Du aber bist für mich ein Sohn, wie alle jungen Männer, die gute Christen sind.« Hier schaltete sich der Alcalde ein und sagte:
    »Es ist hier so Sitte, daß der Pfarrer seine Gemeindemitglieder mit dem vertraulichen Du anredet. Das soll nicht etwa eine Herabsetzung der Person sein. Wenn ein Mann allerdings älter ist und in Amt und Würden steht, so sagt auch der Pfarrer »Ihr«.«
    Michel war normalerweise nicht leicht in Verlegenheit zu bringen. Jetzt kam er sich plötzlich unhöflich vor. Deshalb stand er auf, reichte dem Pfarrer die Hand und sagte: »Bien Senor, ich wollte Euch nicht beleidigen. Ich bin noch nicht lange genug im Lande, um das zu wissen. Da mich aber hier jeder sogenannte Hochgestellte gleich mit Du ansprach, habe ich es ihm stets zurückgegeben. Ich erkenne das Hoch und Niedrig der Geburt nicht an, eine Weltanschauung übrigens, die ich mir unter genügend Opfern erworben habe. Ich habe allein Achtung vor dem Geist. Alles andere ist für mich Äußerlichkeit, deren es zum Leben nicht bedarf.«
    Der Pfarrer sah den legendenumwobenen Silbador forschend und auch ein wenig verwundert an. Unwillkürlich drängte sich ihm die Anrede Ihr auf die Lippen, als er jetzt meinte: »Ihr sprecht, als habt Ihr Philosophie studiert, Freund. Wer seid Ihr?«Michel lächelte. »Nennt mich getrost weiter Du, Senor. Ich füge mich den Sitten eines Landes. Ich bin ja unterwegs, um zu lernen. Vielleicht habe ich den

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