El Silbador
der anderen Ecke saß ein bärtiger Mann, dessen Teilnahme an dem Rummel auch nur aufs Zuschauen beschränkt zu sein schien. Von allen Anwesenden war dieser Mann die interessanteste Gestalt in der Budike. Er hatte ein dickes Buch vor sich liegen, in das er hin und wieder ein paar Notizen machte. Michel wunderte sich nicht schlecht über diesen Gast, der sich einen so seltsamen Ort für seine Aufzeichnungen ausgesucht hatte. Das Buch schien ein Schiffslog zu sein. Der Mann machte ganz den Eindruck eines Kapitäns. Wenigstens stellte sich Michel einen Kapitän so vor.
Da betrat ein weiterer Gast die Taberna. Es war ein dunkel und städtisch gekleideter Herr, dessen Gesicht allerdings nicht dazu angetan war, Vertrauen zu erwecken. Die Züge waren verkniffen, vielleicht sogar mit einem Schuß Kühnheit darin. Das schwarze, schüttere Haar war gepflegt, und die dünnen Brauen standen wie zwei dunkle Striche darunter. Eine wie ein Geierschnabel gebogene Nase verlieh der ganzen Visage einen unangenehmen Ausdruck. Ein sonderbarer Gast, dachte Michel, und seine Verwunderung wuchs noch, als dieser sich jetzt neben den Kapitän setzte und mit ihm zu tuscheln begann.
Michel war von Natur aus nicht neugierig; aber sonderbare Menschen verleiten eben oft zu sonderbarem Tun. Und ehe er sich noch recht entschlossen hatte, wie er sich am besten die Zeit vertreiben sollte, saß er, wie von unsichtbaren Gewalten gezogen, auf einer wackligen Truhe, die ganz in der Nähe der beiden Geheimniskrämer stand.
»Capitan«, hörte er den Mann mit der Geiernase fragen, »wie ist das nun, seid Ihr bereit, die Senorita gegen die sechs Perlen mit über den Atlantik zu nehmen?«Der Capitan blieb eine Weile still. Michel sah nicht hin; denn er wollte nicht als Lauscher erscheinen. Wieder begann der andere eindringlich:
»Bedenkt, Capitan, sechs Perlen von dieser Güte werden Euch für die Beförderung von zwei Personen nie im Leben wieder angeboten.«
Jetzt bequemte sich der Kapitän zu einer Antwort.
»Por Dios, Senor Garcia, man hat Euch gesagt, daß ich nicht kleinlich bin. Ich würde Euch allein ohne weiteres mitnehmen. Aber ich gab Euch schon des öfteren zu bedenken, welches Unheil die Anwesenheit einer Frau auf einem Schiff wie dem meinen auszurichten vermöchte. No, Senor, daraus kann nichts werden, tut mir leid.«
Als Michel den Namen Garcia hörte, wandte er sein Gesicht trotz aller Vorsicht den beiden Gesprächspartnern zu. Sollte dieser fremde Senor etwa gar jener Arzt sein, der dem alten Grafen de Villaverde y Bielsa das langsam wirkende Gift verschrieben hatte?
Ein schneller Blick genügte ihm, um sich nochmals, und diesmal für immer, das Gesicht dessen, den er unwillkürlich verdächtigte, einzuprägen.
Nun war Garcia zwar ein in Spanien durchaus alltäglicher Name; aber der Mann sprach von einer Frau, die ebenfalls auf das Schiff jenes Kapitäns wollte. Da lag es nahe, daß es sich um niemanden anders als die Gräfin Marina handelte. Jedenfalls stand es für Michel fest, daß er — da ihm der Zufall nun einmal zu Hilfe zu kommen schien — der Spur nachgehen würde. Vielleicht hatte er die Möglichkeit, Marina dem Gericht und einer gerechten Strafe auszuliefern. Auch jenem Doktor — vorausgesetzt, daß er es war — mußte man unbedingt das Handwerk legen.
Mit abgewandtem Gesicht, aber um so wacheren Ohren lauschte er weiter dem Gespräch. »Man rühmt Euch großen Mut nach, Senor Capitan, warum wollt Ihr da plötzlich vor einer Frau Angst bekommen?« drängte Garcia.
»Ich habe in meinem Leben nur die schlechtesten Erfahrungen mit Weibern gemacht. Außerdem dürfte Euch auch zu Ohren gekommen sein, daß ich ein königlich privilegierter Korsar bin, der es auf die Engländer abgesehen hat. Es könnten bei meinem augenblicklichen Unternehmen Kämpfe auf dem Ozean entstehen, und bedenkt, wie gräßlich das für das zarte Gemüt einer jungen Dame wäre! Nein, Senor, ich muß bei meiner Ablehnung bleiben. Wie gesagt, Ihr selbst seid mir jederzeit willkommen. Ich brauche sowieso einen Schiffsarzt auf meiner Galeone.« »Nun, wenn es tatsächlich zu Seegefechten kommen sollte, so doch höchstens in den amerikanischen Gewässern. Ihr könntet Senorita Marina doch vorher an Land setzen.« Der Kapitän meinte entschieden:
»Ihr verkennt die wichtigste Aufgabe meines Schiffes vollkommen. Unser Ziel ist es in erster Linie, die Seeblockade gegen Washington zu durchbrechen, um Waffen und sonstiges Material an die Rebellen zu
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