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El Silbador

El Silbador

Titel: El Silbador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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nachgekommen war, erkannte er im Hintergrund eine exklusive Villa in maurischem Stil — eine Seltenheit so hoch im spanischen Norden.
    Michel sprang über den Zaun und landete auf einer weichen Rasenmatte. Vorsichtig und geräuschlos schlich er sich an das Bauwerk heran. Die Fenster lagen so, daß man mit ein wenig Geschick und Geschmeidigkeit von ebener Erde aus hineinsehen konnte. Obwohl Michel auf den Anblick der Verbrecherin vorbereitet war, konnte er doch nur mit Mühe einen Ausruf der Bewunderung unterdrücken. Da saß Marina hingegossen auf einer römischen Liegestatt, in ein duftiges Neglige gehüllt. Das rötliche Haar war gelöst. Es reichte ihr fast bis zum Gürtel hinab. Ihre vollkommene Schönheit bildete einen merkwürdigen Kontrast zu dem Doktor mit der Geiernase, der ihr gegenüber saß.
    Die großen Bogenfenster waren spaltweit geöffnet. Undeutlich nur konnte der Lauscher verstehen, was gesprochen wurde.
    »Die Sache ist also perfekt, Pablo? Ich bin überrascht. Ich hätte nicht für möglich gehalten, daß Ihr den alten Griesgram so schnell umstimmen könntet. Nun, immerhin freue ich mich. Wir werden diesem verfluchten Land morgen abend den Rücken kehren; aber wir werden wiederkommen und Rache nehmen an meinem großzügigen Herrn Gemahl. Wie hat er mich gedemütigt, als er mir die Freiheit wiedergab! O ja, wenn ich ihn jemals wieder in meine Gewalt bekomme —« Garcia winkte resigniert ab.
    »Eure Pläne in allen Ehren. Aber bis jetzt sind wir noch nicht einmal fort aus diesem gesegneten Land, und Ihr sprecht schon von einer Wiederkehr. Etwas verfrüht, meine Liebe, findet Ihr nicht auch? Macht Euern Kopf frei von solcherlei Rachegedanken. Ihr werdet Euern Verstand nötig brauchen, wenn Ihr erst Arztgehilfe seid.« »Arztgehilfe? Wie soll ich das verstehen?«
    »Nun, der Capitan weigert sich, eine Frau an Bord zu nehmen. Wir müssen Euch also ein wenig verkleiden. Ab morgen abend seid Ihr mein Gehilfe. Ich selbst habe als Schiffsarzt angeheuert.« Marina fuhr ungehalten auf.
    »Ihr wollt mir doch nicht im Ernst einreden, daß ich nicht als das, was ich bin, an Bord gehen kann?«Garcia nickte.
    »Tut mir leid, aber leider läßt es sich nicht ändern. Wir können nicht befehlen, wir müssen tun, was man von uns verlangt.«
    »Ich weigere mich entschieden. Ich will eine Oberfahrt, auf der ich meinem Rang entsprechend behandelt werde. Ihr werdet vielleicht gar von mir verlangen, daß ich zusehe, wie Ihr diese ekelhaften Seeleute verarztet?«
    »Nicht nur zusehen. Ihr werdet Hand anlegen müssen. Ein Arztgehilfe muß sogar das Schröpfen selbständig vornehmen können. Und nun holt eine Schere.« »Eine Schere?«
    »Natürlich, habt Ihr je einen Mann gesehen, der so lange Haare trägt wie Ihr? Wir müssen Euch schon so echt wie möglich machen.« Marina sah ihren Helfer durchdringend an. »Redet Ihr im Ernst?«
    Garcia fuhr sich unhöflicherweise mit dem Ärmel seines Rockes unter der Nase entlang. »Ich war noch nie ernsthafter als heute. Bringt mir eine Schere. Ich werde meine Frisierkünste an Euch probieren.«
    Ein Blick voll tödlichen Hasses traf den Mann. Hoheitsvoll schritt sie aus dem Raum. Michel konnte sich jetzt auf seinem Standplatz nicht mehr halten. Er hatte sich fast das Genick verrenkt, um besser hören zu können. Mit einem rauhen Sacktuch wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Erfahren hatte er so gut wie nichts. Aller Voraussicht nach würde es den beiden gelingen, an Bord zu kommen. Er konnte höchstens die Hafenbehörden auf das Paar aufmerksam machen. Ob man sich jedoch in die inneren Affären eines Korsarenschiffes mischen würde, war mehr als fraglich. Die Korsarenkapitäne, die im Auftrag des Königs fuhren, hatten zu jenen Zeiten mehr Macht und mehr Freiheit als die meisten Beamten des Staates. Und der Alcalde, die Polizei? Eine Perle dieser wertvollen Kette würde genügen, ihn selbst, Michel, in Lebensgefahr zu bringen; denn erstens war er ein Landfremder, zweitens wußte die Gräfin, daß er aus der Heimat entflohen war, und drittens gab es auch im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts noch die Büros der Inquisition, die zwar nicht mehr die Macht hatten, wie vor hundert Jahren, sich aber um das Wohl und Wehe eines Ausländers wenig scheren würden.
    Nein, so einfach war das nicht.
    Michel sprang über den Zaun und wanderte dann, tief Atem holend, die nächtliche Straße entlang, bis er zu seiner Taberna gelangte. Ohne sich im Schankraum aufzuhalten, ging er

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