El Silbador
Sicher wirkte das Gift nicht unmittelbar. Garcia hat sich vermutlich noch aufrichten können, nachdem sein Mörder die Kabine verlassen hatte. Doch dann reichten seine Kräfte nicht mehr aus, und er fiel neben dem Strohsack nieder.«
Der Kapitän blickte seine beiden Offiziere an, in deren Augen sowohl Verdacht als auch Unschlüssigkeit standen.
»Hm«, meinte der Kapitän dann, »ich glaube kaum, daß jemand von der Mannschaft den Schiffsarzt umgebracht hat; denn er hätte sich damit ins eigene Fleisch geschnitten. Es käme eigentlich nur eine Person in Frage, nämlich diejenige, die einen Vorteil von dem Tode Garcias
gehabt hätte. Und das, Senor Baum, seid nach meinem Dafürhalten--Ihr selbst.«
Michel lachte nur; denn die Logik des Kapitäns schien ihm widersinnig. »Welchen Vorteil soll ich vom Tod des Doktors haben?« fragte er.
Der Kapitän zögerte. »Ganz einfach«, meinte er dann, »Ihr wolltet die Stelle des Schiffsarztes einnehmen. Dazu mußte natürlich erst der andere weg.«
Der Sprecher sah sich Beifall heischend um. Sein Erster Offizier nickte Zustimmung. Nicht so jedoch sein Zweiter, der kleine Alfonso Jardin. Der traute dem jungen Fechter solch meuchlerische Gesinnung nicht zu. »Demonio, Senor Capitan, Ihr seid ein wenig schnell bei der Hand mit Euren Schlüssen. Ich glaube nie und nimmer, daß ein Mann wie dieser junge Senor, der wie der Teufel fechten kann, einer solchen Gemeinheit fähig wäre. No, no, ich verbürge mich für ihn.«
Michel sah seinen ersten Fechtpartner auf diesem Schiff erstaunt und dankbar an. Der Kleine schien zwar ein Raufbold zu sein, aber ein Gesinnungslump war er bestimmt nicht. Er handelte instinktmäßig wie ein Ehrenmann. Hingegen war der Erste Offizier offensichtlich mit der logischen Erklärung seines Kapitäns einverstanden. Er sah seinen kleineren Kameraden verächtlich an und meinte:
»Hätte es nicht für möglich gehalten, daß du für einen überführten Mordbuben Partei ergreifst.« Er trat vor Michel hin und spuckte vor ihm aus.
Da aber hatte ihn der Verdächtigte auch schon beim Wams gepackt und schüttelte ihn wie der Wind einen jungen Baum.
»Ich hoffe, Ihr nehmt Eure Beleidigung augenblicklich zurück, Don Escamillo!« Escamillo de Fuentes sagte kein Wort, seine Blicke schweiften hinüber zum Kapitän. Als er jedoch sah, daß es diesem nicht einfiel, Partei für ihn zu ergreifen, zischte er wütend: »Laß mich los, du erbärmlicher, feiger Mörder!«
»Pfui, Escamillo«, rief da der Kleine voller Verachtung. »Wie kannst du deiner durch nichts begründeten Abneigung gegen den jungen Senor so freien Lauf lassen? Ich schäme mich für dich.«
Michel hielt den Wütenden noch immer fest.
»Wollt Ihr Eure Beleidigung zurücknehmen, Don Escamillo?«
»Ich denke nicht daran! Que impudencia, solches von mir zu verlangen! Laß mich los, elender tramposo!«
Michel ließ ihn los, holte jedoch im gleichen Augenblick aus und gab dem hochgeborenen Hidalgo eine solche Ohrfeige, daß er der verkleideten Gräfin vor die Füße fiel.
Escamillo sprang wutentbrannt auf und riß seinen Degen aus der Scheide.
»Valgame Dios, Feigling, willst du mit einem Waffenlosen kämpfen?« rief der Kleine und stellte sich schützend vor den bedrohten Michel.
»Leiht mir Euern Degen, Senor Jardin«, bat Michel seinen Beschützer. Dieser reichte ihm die Waffe mit einer respektvollen Verbeugung. »Mein Leben für Euch, Senor«, sagte er.
»Pah«, mischte sich Escamillo bellend ein, »wie traurig für diesen Lümmel, wenn du ihm nichts
zu bieten hast als dein lächerliches Leben, das Leben eines verrückten Zwerges.«
»Diablo, ich erwürge dich mit meinen bloßen Händen, du adliger Gallespucker!«
Der Kleine machte Anstalten, sich auf ihn zu stürzen. Aber Michel hielt ihn zurück.
»Laßt ab, Senor Jardin, ich werde dem Burschen eine Lektion erteilen, an die er sein Leben lang denken soll. Ich nehme Euer Leben an und biete Euch dafür das meine«, lächelte er dem Kleinen zu.
Das war eine Höflichkeitsbezeugung und die offene Erklärung einer Freundschaft, wie sie unter Tausenden von Menschen nur ganz selten ausgetauscht wird. Ein Bund wird so besiegelt, der bis ans Lebensende Gültigkeit besitzt.
Mit einem schrillen Wutschrei stürzte sich Escamillo de Fuentes jetzt auf Michel. Dieser wehrte in geschickten Paraden ab und begann auf einmal, teuflische Pfiffe auszustoßen. Dann aber ging er zum Angriff über und trieb den Ersten Offizier wie einen Maulesel vor sich
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