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El Silbador

El Silbador

Titel: El Silbador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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sich die Menschen stets gegenseitig das Leben zur Hölle machen? Warum vertrugen sie sich nicht? Wozu war denn der Verstand überhaupt da, wenn nicht dazu, daß man sich selbst mit seiner Hilfe Zügel anlegte?
    Eigenartig, daß Alfonso zum erstenmal in seinem Leben solche Gedanken hatte. Und dabei konnte er lesen und schreiben, hatte viel gesehen von der Welt und hatte sich entschlossen, seine Kraft in den Dienst der Freiheit zu stellen. Denn nicht, weil dieses Schiff, auf dem er nun Erster Offizier war, eine Art königliche Seeräubergaleone darstellte, nein, weil es den Rebellen der Freiheit in jenem weiten Amerika Hilfe bringen wollte, deshalb hatte er hier Heuer genommen. Ihm lag nicht viel an Geld. Zum Sattwerden hatte er genug. Das Abenteuer reizte ihn und das wilde Leben eines Freibeuters, wobei er allerdings den einen Denkfehler machte, daß er Freiheit mit Freibeutertum verwechselte. Für ihn waren die Soldaten Washingtons die gleichen Menschen wie die Piraten, die auf den Antillen hausten und sich außerhalb der königlichen Gesetze gestellt hatten. Amerika war im weiteren Sinne also das Gleiche wie Caribien. Auch hier wollte man sich vom Joch eines Königs befreien und leben, wie es einem gefiel. Das Große in der Erhebung jenes Volkes mit dem Sternenbanner erkannte Jardin nicht; denn so weit reichten seine Gedanken nicht, die jetzt von Michels Stimme unterbrochen wurden.
    »Legt ihn vorsichtig nieder, Senor Jardin. Die Schmerzen in dem Stumpf werden jetzt erst richtig beginnen.«
    Sie ließen den Verwundeten behutsam auf das Lager in seiner Kabine gleiten. Eigentlich müßte ich jetzt hier wohnen, dachte Jardin. Dann aber schüttelte er den Kopf. Unsinn, auf die Umgebung kam es nicht an, wenn man Erster Offizier sein wollte, sondern nur auf die Leistung ...
    Die »Trueno« segelte unter guten Winden zunächst nordwestlichen Kurs. Als sie sich etwa auf 45 Grad nördlicher Breite und 8 Grad westlicher Länge befand, ging sie ziemlich genau auf Südwestkurs. Man hatte offensichtlich die Absicht, den 43. Breitengrad zu erreichen, um dann mit direkter Westroute Boston anzulaufen, um das die Engländer eine scharfe Seeblockade gelegt hatten.
    Nicht sehr klug, dachte Michel Baum. Wenn er Kapitän gewesen wäre, hätte er die Galeone viel weiter südlich fahren lassen, um dann von Süden her nach Norden an der amerikanischen Küste entlangzukreuzen. Direkten Westkurs auf Boston würde vermutlich jedes englische Schiff nehmen. So war die Gefahr eines Zusammentreffens weiter westlich stets gegeben. Nun, Michel Baum war zahlender Fahrgast. Für ihn galt es, so bald wie möglich in jenes Land der Freiheit zu gelangen, dessen Verfassung er fast auswendig kannte. Als man den offenen Atlantik erreicht hatte, trat ein unvorhergesehenes Ereignis ein. Eines Abends sackte ein Wachtposten stöhnend zusammen. Man brachte ihn in die Koje des ermordeten Arztes und bedeutete dem »Arztgehilfen«, ihm zu helfen. Marina hatte geschickte Hände, wenn es galt, kleine, äußere Wunden zu verbinden, Blutungen zu stillen und Hautabschürfungen zu verpflastern.
    Der Kranke aber klagte wimmernd über furchtbare Schmerzen in der Blinddarmgegend. Marina, deren Verkleidung bisher noch niemand außer Michel durchschaut hatte, wußte sich keinen Rat und zuckte nur die Schultern.
    »Caramba«, meinte sie in der derben Ausdrucksweise, die sie sich hier angewöhnt hatte, »der Kerl will bloß krank spielen. Gießt ihm einen Eimer Wasser über den Kopf. Dann gehen die Schmerzen von selber wieder weg.«
    Die Leute standen unschlüssig. Zum Kapitän getrauten sie sich nicht wegen dieser »Kleinigkeit«. Zudem hatten sie vor jedem Menschen, der einen sauberen Verband anzulegen wußte, einen Heidenrespekt.
    »Muy bien, Senor Medico«, meinte Diaz Ojo, ein vierschrötiger Vollmatrose, der seit zehn Jahren schon zur See fuhr, »sollen wir ihn an einen Strick binden und ins Wasser hinunterlassen?« Marina lachte rauh.
    »Kein schlechter Gedanke. Am besten, Ihr gebt ihm anschließend auch noch die neunschwänzige Katze, damit sich die Schmerzen vom Bauch auf den Hintern verlagern.« Michel war zufällig draußen vorbeigegangen; denn er hatte noch immer die Kabine neben Marina inne. Da die Tür offenstand, konnte er jedes Wort hören.
    Jetzt trat er mit festem Schritt ein und betrachtete den Kranken, ohne Marina oder die übrigen Umstehenden eines Blicks zu würdigen.
    »Wo hast du Schmerzen, companero?« fragte er freundlich und bückte sich zu dem in

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