El Silbador
her, die Treppe hinauf.
Das Klirren der Waffen hatte die Wachen angezogen. Sie versperrten die Luke so, daß Escamillo nicht mehr weiter zurückweichen konnte. »Platz da!« schrie er.
Aber die Wächter hatten die strikte Anweisung, niemanden mehr an Deck zu lassen. So kreuzten sie die altmodischen Piken.
Escamillo wehrte sich auf der obersten Stufe mit Verzweiflung.»Capitan«, rief er laut, »befehlt den Pikenieren, daß sie mir den Weg frei geben.«
Der Kapitän folgte dem Wunsch seines Ersten; denn an sich mochte er ihn gut leiden und wollte ihn retten.
»Laßt Don Escamillo durch«, schrie er. Das Pikenkreuz öffnete sich. Escamillo machte einen Schritt rückwärts.
Dann standen die Wächter wieder unbeweglich. Michel war praktisch von seinem Gegner abgeschnitten.
Es fiel ihm nicht ein, die Pikeniere anzugreifen. Escamillo aber ließ unter dem sicheren Schutz der gekreuzten Hellebarden den Degen sinken und warf dem Silbador eine Flut von schmutzigen Schimpfwörtern ins Gesicht.
Da faßte Michel plötzlich den geliehenen Degen bei der Spitze, wirbelte ihn zweimal um den Kopf und ließ ihn zwischen den Wächtern hindurchzischen. Die Schneide der scharfen Waffe trennte im Flug dem Ersten Offizier die Degenhand vom Arm. Ein furchtbarer Schrei erklang. Und ein dicker Blutstrahl schoß auf Deck.
Die Posten waren erschrocken zurückgewichen. Jetzt ließen sie die Piken fahren und eilten unter Schreckensrufen davon. So etwas hatten sie noch nie gesehen. Sie mußten den Senor, der als Fahrgast auf ihrer Galeone weilte, für den leibhaftigen Satan halten.
Marina, der Kapitän und der Kleine drängten sich die Treppe empor. Wie einen Geist starrten sie Michel an, der bereits dabei war, seinem Feind die Ader abzubinden, was dieser sich ohne weiteres gefallen ließ.
Michel beachtete die bewundernden Ausrufe der Anwesenden nicht.
»Senor Jardin«, bat er höflich, »helft mir, den Verwundeten unter Deck zu bringen. Ich hoffe, wir finden genügend Instrumente und Bandagen, um ihn zu verarzten und zu verbinden.«
»Ihr wollt Euern eigenen Feind verbinden, Senor?« fragten der Kleine und der Kapitän ungläubig. »Ihr habt ihn besiegt und könnt ihn nach dem Seerecht der Ehre töten.« »Was hätte ich wohl davon?« lächelte Michel. »Ich mußte ihn für seine Beleidigungen bestrafen, weil es der Ehrenkodex so erfordert. Und ich wollte ihn nachhaltig bestrafen, um in Zukunft sicher zu sein vor seinen Angriffen. Fechter, die einsehen, daß sie immer verlieren werden, sobald sie gegen mich kämpfen, greifen oft zu unerlaubten Finten. So ist es besser, wenn die Degenhand keine Dummheiten mehr machen kann.«
»Das verstehe ein anderer«, meinte der Kapitän und kratzte sich am Kopf. »Sagt mir, was ich mit einem Ersten Offizier soll, der keine rechte Hand besitzt.«
»Sehr einfach, Kapitän, macht ihn zum Zweiten Offizier und den Zweiten zum Ersten«, gab Michel zurück.
Der Kapitän sah ihn verblüfft an. Senor Jardin wurde über und über rot vor Verlegenheit. Der Kapitän nickte jedoch und ließ die Leute zusammenrufen. Als er ihnen die Beförderung erklärt hatte, brach ein donnerndes Hurra aus den Kehlen der Seeleute, die nie besonders viel .von dem vornehmen und hochnäsigen Escamillo gehalten hatten. Nur der Steuermann war nicht ganz einverstanden, enthielt sich aber jeglicher Kritik.
Als Michel nun in des Doktors Garcia Koje den Verwundeten kunstgerecht verband, ging ihm der angebliche »Arztgehilfe« unaufgefordert zur Hand.»Schaffen wir ihn in seine Kabine« bat Michel Jardin, der eben eintrat. Jardin zögerte.
»Ich mag einen Ehrlosen nicht mehr anfassen.« Michel lächelte bittend.
»Amigo, ging es Euch nicht ähnlich, als wir beide das Vergnügen miteinander hatten? Verzeiht, daß ich Euch daran erinnern muß; aber man sollte nie vergessen, menschlich zu sein. Niemand ist ehrlos, nur weil er sich einmal schlecht benimmt. Wir Menschen könnten alle in schönster Eintracht leben, wenn sich nicht immer der eine über den anderen erheben und sich besser dünken würde als sein Nächster. Sind wir nicht frei geboren, und haben wir nicht Verstand mitbekommen in die Wiege, damit wir unsere Gefühle damit kontrollieren? Bitte, faßt an.« Der Kleine, nunmehr Erster Offizier, sah beschämt zu Boden. Während er vorsichtig den Verletzten bei den Füßen ergriff, um seinem neuen Freund beim Transport des Ohnmächtigen behilflich zu sein, gingen ihm die sonderbarsten Gedanken durch den Kopf. Ja, warum mußten
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