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El Silbador

El Silbador

Titel: El Silbador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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in den Sinn. Er grübelte nach, um sich darüber klar zu werden, ob sein eigenes Gesetz ihn zum Handeln zwang oder obes ihm gestattete, gleichgültig zu bleiben. Er fand keinen Entschluß. In schweren Gedanken schlief er endlich ein. Doch er war kaum hinübergedämmert, als ihn ein Laut wieder emporfahren ließ. Hatte es nicht ganz in seiner Nähe geklungen, als sei jemand schwer zu Boden gefallen?
    Er richtete sich auf und lauschte. Das Geräusch wiederholte sich nicht. Es schien auch, außer von ihm selbst, von niemandem sonst vernommen worden zu sein. Michel sank zurück ins Reich der Träume.
    Als er zum zweitenmal erschrocken emporfuhr, lag über dem Meer schon der Glanz der Sonne. Er stand auf und verließ seine Koje. Marina in ihrer Verkleidung rannte, ohne ihn zu beachten, die Treppe empor und rief unausgesetzt nach dem Kapitän. War etwas passiert?
    Michel sollte nicht lange im unklaren bleiben.
    Es waren noch keine fünf Minuten verstrichen, als der Kapitän mit seinen zwei Offizieren erschien. Draußen vor der Ausstiegluke zogen plötzlich zwei schwerbewaffnete Posten auf, die das Deck gegen die Kojen abriegelten. Der Kapitän hatte Michel jetzt erreicht.
    »Habt Ihr heute Nacht etwas besonderes bemerkt, Senor?« fragte er aufgeregt.
    Michel verneinte. Aber dann schoß ihm auf einmal der Gedanke an das seltsame Geräusch durch den Kopf, das er im Halbschlaf gehört zu haben meinte.
    »Doch, Capitan, ich muß mich berichtigen. Es wird etwa zwölf Uhr gewesen sein, als ich einen schweren Fall ganz in meiner Nähe hörte. Da jedoch niemand Notiz davon nahm, so glaubte ich geträumt zu haben.« »Kommt mit«, sagte der Kapitän barsch.
    Michel folgte ihm und dem »Arztgehilfen«. Sie standen vor Doktor Garcias Koje und blickten hinein. Der Arzt lag nicht auf seinem Strohsack, sondern neben diesem. Nicht einen Millimeter bewegte sich der Körper mit dem teuflischen Gesicht. Er schien steif zu sein — tot. Michel kniete sofort neben ihm und untersuchte ihn fachmännisch. Er konnte trotz allen Anstrengungen keine Wunde finden. Nichts deutete darauf hin, daß er eines gewaltsamen Todes gestorben war. Hätte man ihn auf seinem Bett gefunden, so wäre nichts Auffälliges an der Sache gewesen; denn jedem Menschen konnte es passieren, daß ihn der Schlag traf. Michel sah dem Toten ins Gesicht. Seine Augen waren weit und — wie es schien — angstvoll aufgerissen. Sie boten einen schauerlichen Anblick.
    »Der Mann kann keines natürlichen Todes gestorben sein«, meinte Michel. »Dieser Gesichtsausdruck wäre bei einem normalen Herzschlag nicht möglich. Gebt Ihr mir die Leiche zur Sektion frei?«
    Der Kapitän, der Arztgehilfe und die beiden Offiziere sahen den seltsamen Fahrgast erstaunt an. »Versteht Ihr denn etwas von diesen Dingen?« fragte der Kapitän. »Nichts für ungut, caballeros, ich bin selbst Arzt und habe in mühevollen Semestern die Chirurgie studiert.«
    Man blickte sich verwundert an. Nur Marina schien zu erbleichen. Ihre Finger schlossen und öffneten sich in starker Erregung. Das kam ihr unerwartet. Wieso wußte sie eigentlich nicht, daß der Silbador ein Chirurg war? Auf Schloß Villaverde war in ihrer Gegegenwart nie ein Wort darüber gefallen.
    »Por Dios Senor Baum«, meinte der Kapitän, »wollt Ihr etwa andeuten, man habe Doktor Garcia hier auf meinem Schiff ermordet?«
    Michel sah die Anwesenden der Reihe nach an. Auf dem Gesicht des Arztgehilfen verweilte sein Blick eine Sekunde länger. Dann nickte er nachdenklich.
    »Si, Senor Capitan«, sagte er bestimmt, »jemand hat in der Nacht den Doktor gezwungen, Gift in Pulverform zu schlucken. Seht hier die Lippen, da liegen jetzt noch feine gelbe Pulverkörnchen.« Mit einem raschen Griff zog er dem Toten das Wams aus und öffnete ihm das Hemd. Mit scharfen Blicken suchte er jeden Quadratzentimeter der Brustoberfläche ab. In der Herzgegend fand er einen kleinen Riß.
    »Hier, Capitan und caballeros, seht Euch diesen Ritz über dem Herzen an. Der Mörder hat seinem Opfer die Dolchspitze fest an die Brust gesetzt und ihm unter der Drohung, ihn sofort zu erstechen, das Gift eingezwungen. Ich glaube, ich kann mir die weitere Untersuchung ersparen. Für mich liegt der Fall klar. Es handelt sich also nur noch darum, den Mörder zu finden und ihn seiner gerechten Strafe zu überliefern.«
    »Ihr sagtet vorhin, daß Ihr nachts einen schweren Fall gehört haben wollt?« Michel überlegte.
    »Ich weiß jetzt bestimmt, daß ich mich nicht geirrt habe.

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