El Silbador
— und dann zuschlagen. Jaaaa — —
Ihr Gesicht erglühte. Ein fiebriger Glanz trat in ihre Augen. Alle Qualen einer gräßlichen Hölle malte sie sich im einzelnen aus.
»Weshalb schweigt Ihr, Marina?« unterbrach der Schiffsarzt ihren Gedankengang. »Was geht es Euch an? Nützt uns das Reden etwas in dieser Lage?«
»Nun, nun, es hat fast den Anschein, als dächtet Ihr an einen fernen Geliebten und maltet Euch im stillen ein Wiedersehen mit ihm aus. Von mir aus stundenlang. Nur finde ich, Ihr wählt Euch für Überspanntheiten stets die ungeeignetsten Augenblicke. Wie bringen wir dem Silbador am schnellsten und am sichersten das Gift bei?«
»Gar nicht. Diesen Mann kann man nicht meuchelmorden. Man darf es nicht. Es wäre ein zu leichter Tod für ihn. El Silbador muß würdig sterben--von meiner Hand, hört Ihr, von meiner eigenen Hand.«
Pablo Garcia verzog sein widerliches Gesicht zu einem Grinsen.
»Fürwahr, man sollte Euch sogleich in die Hölle schicken, damit Ihr den Teufel in die Schule nehmen könnt. Seine Bosheit verblaßt hinter Eurer. Wenn ich einen Menschen töte, so tue ich es, um ihm entweder seinen Geldbeutel wegzunehmen — wenn er einen hat — oder um ihn auf schnelle und schmerzlose Art loszuwerden, wenn er mir aus irgend einem Grunde im Wege ist. Gift ist immer das Sicherste.« »Pah!«
»Pah — pah — pah«, äffte er nach. »Eure Überheblichkeit paßt nicht mehr in unsere Zeit, in der die Wissenschaft gilt und nicht die Abstammung von einer alten Adelsfamilie, deren Ursprung offensichtlich in der Hölle zu suchen ist. Vielleicht bedenkt Ihr einmal, was werden würde, wenn Euch der gefährliche Bursche durch einen Zufall wiedererkennt. Dann sind alleschönen Vorsätze nutzlos. Des weiteren kann ich mir nicht vorstellen, wie Ihr selbst ihn auf diesem Schiffe umbringen wollt, ohne daß jemand etwas merkt. Wir leben im Augenblick leider auf einer stark bemannten Galeone und nicht in den menschenleeren Einöden der Pyrenäen. Nehmt doch Vernunft an — oder macht Euern Kram allein. Ich jedenfalls werde Euch zu Euerm Wahnwitz keine Hilfestellung leisten.«
»Schweigt«, rief sie voller Zorn. »Ihr werdet fredi und anmaßend. Stehe ich vielleicht unter Euerm Kommando? Möchte wissen, was mich davon abhalten sollte, meinen Vorsatz auszuführen.«
»Ich«, sagte er trocken, »ich werde Euch davon abhalten; denn Ihr habt Euch meiner Anordnung zu fügen. Ihr seid nichts weiter als mein — — Arztgehilfe, verstanden?«
Sie zog es vor, sich einer Antwort zu enthalten. Aber in ihren Augenwinkeln zuckte es unheilverkündend.
Pablo Garcia trat jetzt zum Bullauge und blickte hinaus.
»Es ist Nacht geworden. Gehen wir schlafen. Morgen früh werdet Ihr mir recht geben. Draußen spielten die Wellen um den Bug des Schiffes, und eine leichte, aber stetige Brise gab ihm gerade Drift nach West.
Als Michel Baum nach seinem Pferd gesehen hatte, blieb er noch ein paar Minuten an Deck, um sich die Lunge mit der frischen Seeluft vollzupumpen. Mit jedem Atemzug fühlte er Kraft in sich einströmen. Es war, als teilte sich die Würze des salzigen Ozeans unmittelbar seinen Muskeln mit und straffte sie.
Sein Blick war nach Westen gewendet, wo in diesem Augenblick die Sonne zur Ruhe ging. Glutrot schien sie in den unendlichen Wassern zu versinken.
Und dort drüben, hinter den Bergen von Wellen und Bläue, kämpfte ein Volk um seine Freiheit. In Blut, Feuer und Willen gebar es sich selbst unter schmerzhaften Wehen. Nie würde eine Krone aus totem Metall über dem freien Haupt Amerikas schweben. Freiheit, das herrlichste Wort, das für Michel Baum auf Erden existierte, wurde dort verwirklicht. Seine Anziehungskraft war magisch, war nicht zu erklären mit religiösen oder politischen Dogmen, war einfach da, um dort im Westen Wirklichkeit zu werden. Heimat, dachte Michel. Aber konnte ein versklavtes Vaterland für einen Menschen, der nichts außer den Sternen über sich dulden wollte, Heimat bedeuten? Heimat war da, wo Freiheit war, wo jeder Mensch vollenden konnte, was seinen Fähigkeiten entsprach, wo das Prinzip der unprivilegierten Auslese herrschte, wo nicht kleine, dummdreiste Fürsten bestimmten, ob jemand edel war oder nicht.
Es war dunkel geworden. Die Sterne lugten vereinzelt zur Erde nieder.
Einen letzten, tiefen Atemzug nahm der Sinnende, bevor er sich wieder in den dumpfen Schiffsrumpf begab.
Als er dann später in seiner Hängematte schaukelte, kam ihm plötzlich der »Arztgehilfe« wieder
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