El Silbador
gegangen, daß er Michel gebeten hatte, Marina als Gehilfen zu behalten. Und Michel hatte sich einverstanden erklärt, da es sowieso nur eine Formsache war.
Die wahre Identität Marinas kannte auch der Kapitän nicht, und Michel hütete sich, ihn genauer aufzuklären. Wenn man erst wußte, mit wem man es in Wahrheit zutun hatte, dann würde man die Frau gefangen setzen und von ihrem Mann ein hohes Lösegeld fordern, das Don Esteban, der Graf de Villaverde y Bielsa, mit Sicherheit zahlen würde. Michel glaubte nicht, daß der ehrenhafte Mann gleichgültig bleiben würde, wenn er von dem Schicksal der Frau erfuhr, die er trotz all ihrer Schlechtigkeit noch immer liebte.
Michel wurde müde. Das eintönige Rauschen der Bugwellen schläferte ihn ein. An Deck war alles ruhig; denn für die nächsten Wochen war das Ausschenken von Schnaps verboten worden, da man sich dem Punkt näherte, an dem man stündlich des Zusammentreffens mit anderen Schiffen gewärtig sein mußte.
Die »Trueno« segelte unter französischer Flagge, da Spanien sich offiziell in den amerikanischen Konflikt nicht einzumischen gedachte. Die französischen Kapitäne, die zu Washingtons Unterstützung ausgesandt waren, sahen es jedoch auch nicht gern, wenn ein fremdes Schiff unter ihrer Flagge fuhr.
Michel wandte sich zur Seite. Der Strom seiner Gedanken versiegte.
Plötzlich aber war er wieder hellwach. An der Tür seiner Koje machte sich irgend jemand zu schaffen.
Er beobachtete seine Umgebung mit gespannter Aufmerksamkeit, und trotz der herrschenden Finsternis entging es ihm nicht, daß sich eine Gestalt in seine Kabine schob, vorsichtig Zentimeter um Zentimeter die Dielenplanken mit dem Fuß abtastend, um knarrende Geräusche zu vermeiden.
Die Gestalt kam immer näher. Jetzt stand sie dicht vor ihm. Ein Anschlag auf sein Leben? Ein neuer Mord auf diesem Schiff?
Ein Messer blitzte durch die Dunkelheit. Michel war bereit zur Gegenwehr. Da fiel die Waffe, ohne Schaden angerichtet zu haben und ohne daß Michel etwas dazu getan hatte, klirrend auf den Boden. Eine Stimme seufzte auf. Und dann fiel ein Körper auf ihn, und zwei feuchte, schwellende Lippen preßten sich auf seinen Mund.
Michel war im ersten Augenblick erstarrt. Dann richtete er sich mit einem Ruck auf. Die Gestalt taumelte zurück. Es war Marina.
Michel schlug Feuer und entzündete eine Kerze. Verwundert und zornig starrte er die Ruhestörerin an.
»Ist Euch nicht wohl, Gräfin?«
Marina schlug — zum erstenmal seit Michel sie kannte — die Augen zu Boden.
»Verzeiht«, murmelte sie, »einmal mußte es so kommen. Entweder mußte ich Euch töten oder
Euch küssen. Ich liebte Euch, seit ich Euch das erstemal sah. Ich ließ Euch damals in den Kerker
werfen--weil ich Euch liebte.--Versteht Ihr das?«
Michel betrachtete sie mit Spott.
»Und als Ihr mich jetzt erstechen wolltet, da kam es plötzlich über Euch, wie?« fragte er. Sie nickte.
»Ich konnte es nicht tun, weil die Liebe stärker war als der Haß. Ich war nicht fähig, Euch das Messer in die Brust zu stoßen.«
»Solche Gefühle hattet Ihr wohl nicht, als Ihr Garcia vergiftetet?« Marina fuhr zurück.
»Ihr wißt — daß ich es — getan — habe?«
Michel verschränkte die Hände hinter dem Kopf undlegte sich zurück. Mit gelangweiltem Ausdruck blickte er zur Decke.
»Das war mir von der ersten Minute an klar. Der Mann stand nach Eurer Meinung zwischen Euch und mir. Nun, es ist gewiß nicht schade um ihn; denn er hatte wahrscheinlich noch mehr auf dem Kerbholz als Ihr. Dennoch ist es Mord, ganz einfach heimtückischer Meuchelmord.« Seine Stimme wurde hart. »Ich habe Euch verschont, um Euch nicht in die Hände von besseren Seeräubern fallen zu lassen. Sonst hätten diese ein Lösegeld von Graf Esteban erpreßt. Und Graf Esteban hätte gezahlt. Das weiß ich, so wahr ich Michel Baum heiße. Für Euch aber auch noch Lösegeld zu zahlen, hieße die Pesetas sinnlos zum Fenster hinauszuwerfen. Nur um das zu verhindern, habe ich dem Kapitän nicht verraten, was Ihr in Wirklichkeit seid. Ich hoffe, Ihr habt mich verstanden.« Marina bebte innerlich. Furchtbarer Zorn stieg in ihr auf.
Jeden Wutausbruch dieses Mannes hätte sie ertragen, jeden Schlag von ihm hätte sie als Liebkosung empfunden. Aber diese kalte Verachtung, diese eisige Ablehnung ihrer Leidenschaft raubte ihr für Sekunden die Besinnung.
Jäh bückte sie sich und ergriff das Messer, das noch immer unbeachtet auf dem Boden lag. Michel reagierte
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