El Silbador
dieser Zauberdoktor in den Kopf setzt. Oder wollt Ihr bestreiten, daß ohne diesen die verdammten Engländer nicht kaltgemacht worden wären?«
»Wir haben euch doch auseinandergesetzt, daß diese Soldaten keine Engländer sind, sondern Leute, die man zum Kämpfen in Amerika an die Rotjacken verkauft hat. Diablo, seid ihr denn schwer von Begriff?«
Punte spie verächtlich ein Stück Tabak auf Deck.
»Uns ist es gleich, ob die Soldaten Engländer sind oder nur deren companeros. Sie sind Soldaten, stehen unter Kriegsrecht und hätten nach Freibeutergesetz ausgelöscht werden können, weil sie auf uns geschossen haben. So aber sind wir um unsere Beute gekommen.« Jardin überlegte.
Sicherlich, es war schwer, diesen Leuten klarzumachen, wie kostbar ein Menschenleben war. Sie achteten das eigene ja gering genug. Wieviel weniger war da ein fremdes wert! Am schlimmsten war es, daß Jardin dem Manne innerlich recht gab; denn er verstand die Haltung des Senor Doktor ebensowenig wie seine Untergebenen. Das einzige, was er gelten ließ, war, daß die Gefangenen Landsleute Michels waren. Gegen Landsleute aber kämpfte man nicht gern; allerdings nur dann nicht, wenn man auch wirklich mit dem Herzen an seinem Vaterland hing.
»Bueno, Punte, ich will nicht ungerecht sein. Offengestanden verstehe ich die Regungen Senor Baums auch nur zum Teil. Aber warum sollten wir ihm den Wunsch nicht erfüllen? Hat er nicht viel für uns getan während der Überfahrt? Bedenkt, wie wenig Schiffe einen richtigen Doktor an Deck haben. Der Capitan hat sich in Unkosten gestürzt, damit ihr, meine Tapferen, nicht an euren Wunden elendiglich zugrunde geht.«
Punte schaute dumm drein. So betrachtet sah die Sache allerdings ganz anders aus. Jardin freute sich schon über seine geschickte und, wie es schien, wirkungsvolle Verteidigung. Aber er hatte nicht daran gedacht, daß Michel auf diesem Schiff mehr oder weniger unbeliebt war. Die Geschichten, die Marina den Leuten in die Köpfe gesetzt hatte, taten ihre Wirkung. Punte sagte: »Wie erklärt Ihr es aber, Senor Jardin, daß der Capitan anfangs den Doktor ausgeschimpft hat für
seine Einmischung in Dinge, die ihn nichts angehen, nachher aber seinem Wunsch folgte?«
»Da gibt es nichts zu erklären. Das geschah natürlich aus besserer Einsicht und aus einer angeborenen Ritterlichkeit heraus.«
Punte sah Jardin zweifelnd an.
»Ich weiß es besser, Senor.«
»Da bin ich neugierig. Was ist deine Meinung?«
»Bueno, wir alle glauben, daß dieser Doktor, der so gräßlich pfeifen kann, mit dem Satan im Bunde ist und Euch und den Capitan verhext hat. Ihr seid ihm hörig, ohne zu wissen, was Ihr tut.«
Den kleinen Schiffsoffizier überlief es siedend heiß. Er sah sich mit einemmal einer Gefahr gegenüber, von der er bislang nichts geahnt hatte. So also hatten sich die abergläubischen Seeleute seine und des Kapitäns Zustimmung zur Schonung der Gefangenen ausgelegt! Mit großen Augen blickte er erstaunt den Mann an, der mit kindlicher Furcht vor dem Bösen solche Dummheiten aussprach, die zum Funken an einem Pulverfaß werden konnten. In seiner Fassungslosigkeit machte Alfonso Jardin den größten Fehler, den er überhaupt machen konnte. Er wandte sich wortlos ab und ließ den erstaunten und beunruhigten Punte einfach stehen.
Mit hastigen Schritten lief er der Kommandobrücke zu, auf der der Kapitän mit dem Steuermann und dem Zweiten Offizier, der sich mittlerweilen von dem schweren Blutverlust erholt hatte, stand.
Jardin stürmte die Treppen zum Kastell empor und berichtete, was er soeben vernommen hatte. Der Kapitän war zunächst bestürzt. Der Steuermann zog es vor, im Kartenhaus zu verschwinden, und Escamillo lächelte hämisch, äußerte jedoch keine Meinung.
»Ich werde sofort mit den Leuten reden«, donnerte der Kapitän. »Möchte wissen, wer den Kerlen dieses Hirngespinst in den Kopf gesetzt hat.«
»Was wollt Ihr den Leuten sagen? Ihr wollt doch nicht noch nachträglich ein Morden der Gefangenen gutheißen?«
»Unsinn. Ich habe bisher zu dem Doktor gehalten und werde es auch weiterhin tun. Er hat sich um die Mannschaft und um das Schiff verdient gemacht. Eine Schande ist es, solche Gerüchte über ihn in Umlauf zu setzen. Ruft die Männer zusammen.«
Diesen Befehl auszuführen, erübrigte sich; denn die Korsaren kamen bereits von selbst. Punte hatte nicht versäumt, sofort einen Bericht über sein Gespräch mit dem Ersten Offizier weiterzuflüstern. Ihn selbst hatte das Entsetzen
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