El Silbador
geriet aus dem Staunen nicht mehr heraus. Nie im Leben hatte er so anstellige Burschen gesehen. Am Abend bereits, noch vor Sonnenuntergang, hing das Ruderblatt an der Ruderstange. Es war stabil und gehorchte dem leisesten Druck des zum Glück unbeschädigt gebliebenen Steuerrades.
Was an Segeln verfügbar war, hatte man an den Masten festgemacht, so daß der Südwestwind Widerstand fand und das Schiff durch das schäumende Wasser trieb.
Der Kapitän hatte nicht genug Zeit, sich um das Leben und Treiben an Bord zu kümmern. Seine Hauptsorge mußte der Berechnung des Kurses gelten. Seit die Soldaten Ruder und Segel notdürftig hergerichtet hatten, war die »Quebec« noch keine 30 Meilen gelaufen.
»Wie steht's, Capitan«, wollte Michel wissen, der von der Mannschaft stillschweigend als Führer anerkannt wurde und vom Schiff nicht wegzudenken war, da er als einziger die Verständigung zwischen den Spaniern und den Deutschen aufrecht erhalten konnte.
Der Kapitän brummelte etwas in seinen weißen Bart.
»Schlecht, Senor Baum; die verdammte Südwestbrise treibt uns fortgesetzt nach Nordost. Es ist das erstemal in meinem Leben, daß ich in diesen Breiten eine derartige Luftströmung erlebe.
Dabei befinden wir uns mitten in den Roßbreiten. Wenn der verflixte Wind nicht umschlägt, kommen wir immer weiter in den offenen Atlantik hinaus.« »Können wir nicht versuchen, an Land zu kreuzen?«
»Zum Teufel, mit diesen Segeln? Wie stellt Ihr Euch das vor? Wir müssen froh sein, daß der Wind überhaupt faßt. Sonst blieben wir ewig auf der Stelle liegen.«
Michel schwieg eine Weile. Ernste Falten bildeten sich auf seiner Stirn.
»Das heißt also, daß wir wieder dorthin segeln, woher wir gekommen sind?«
»Nicht ganz. Wenn der Wind lange genug von Südwest bläst, werden wir irgendwo an der marokkanischen Küste landen. Vielleicht gelingt es uns, Casablanca anzulaufen — vielleicht sogar Tanger.«
»Und wovon leben wir in diesen Wochen? Die Lebensmittelvorräte reichen höchstens noch für vierzehn Tage. Vom Trinkwasser will ich gar nicht erst reden. Was meint Ihr, wie lange wir brauchen, wenn wir nach Afrika segeln müssen?«
»Fragt mich nicht, Senor, es ist eine unnütze Frage; denn das kann bei einer solchen Takelage, wie wir sie haben, nur der liebe Gott voraussagen.« »Nicht gerade ein Trost.«
Senor Porquez zuckte die Achseln. Die Frage blieb offen.
Der Wind blies ständig und stetig aus der gleichen Richtung. Es bestand auch nicht die leiseste Hoffnung, daß er sich drehen könnte. Zudem war man nun bereits zwölf Tage unterwegs und befand sich auf 30 Grad westlicher Länge, etwa auf dem Wendekreis des Krebses, war also kaum nach Norden, sondern immer nach Osten gesegelt.
»Wenn das so weitergeht, landen wir nicht in Casablanca, sondern an der Goldküste«, schimpfte Jardin vor sich hin.
Hier und da zeigte sich bei den landgewohnten Soldaten bereits Skorbut. Die brotlose Dörrfleischkost untergrub ihre Widerstandskraft. Das Trinkwasser nahm erschreckend ab. Wenn man es wie bisher aufteilte, würde es im Höchstfall noch sieben Tage reichen. Michel entschloß sich, es zu rationieren, was ihm das laute Murren seiner Landsleute einbrachte. Eberstein schlich herum wie ein geprügelter Hund. Hier und da sah man ihn mit den Leuten sprechen.
Zwei weitere Tage vergingen. Da kam ein Sergeant zu Michel und sagte:
»Wir brauchen mehr Wasser, Herr Doktor; mit einem Viertelliter kann vielleicht ein Spatz leben, aber nicht ein ausgewachsener Mann.«
Michel schwieg eine Sekunde lang. Auch er hatte furchtbaren Durst. Wenn er den Leuten nachgab, konnte er sich selbst wieder einmal satt trinken. Am meisten tat ihm der alte Kapitän leid. Er wankte wie eine lebende Leiche zwischen Steuer und Navigationskajüte hin und her. Wie Feuer brannte es ihm in den Eingeweiden. Nachdem die letzten Flaschen Wein von den Spaniern im Verein mit Eberstein gleich am ersten Tage ausgesoffen worden waren, gab es keinen zusätzlichen Schluck zu dem eingeteilten Viertelliter Wasser. Und dabei stach die Sonne unbarmherzig nieder.
»Bin ich vielleicht ein Spatz?« stellte Michel dem Sergeanten die Gegenfrage. Der lachte zynisch.
»Nun, Ihr wollt mir doch nicht weismachen, daß auch Ihr nur einen Viertelliter Wasser täglich trinkt?«
Michel holte aus und setzte dem Mann erbarmungslos die Faust unters Kinn. Mit einem Wehlaut brach der Sergeant zusammen.
»He!« meinte da eine krächzende Stimme in Michels Rücken. »Was soll das
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