El Silbador
die, für die nichts übriggeblieben war, auch noch mit denen, die ihren Durst gestillt hatten, zu streiten. Eine wüste Rauferei setzte ein. Der alte Kapitän hatte unbeirrt am Steuer ausgehalten. Sein Gesicht ähnelte einer ausgequetschten Zitrone. Gegen Mitternacht kam Jardin, der ebenfalls völlig erschöpft war, und löste ihn ab.
Der Alte hatte jedoch das Steuerhaus kaum verlassen, so stieß er einen Schreckensruf aus. Dann verbreitete sich die Kunde wie ein Lauffeuer, daß der Wind umgeschlagen war. Es wehte plötzlich ein scharfer Nord, der das Schiff unbarmherzig nach Süden trieb--ins offene Meer, ins Nichts.
Madeira rückte wieder in weite Ferne. Die Trinkwasserbehälter aber waren leer. — Michel blieb stumm. Was sollte er auch sagen? Zu ändern war nichts mehr. Als er des Nachts bei einem Rundgang auf den Rittmeister stieß, meinte er nur verächtlich: »Ihr habt den Horizont eines Vierjährigen, Herr von Eberstein. Es ist unverantwortlich, daß Leuten wie Euch die Führung von anderen Menschen anvertraut wird. Wenn wir uns nicht sowieso in hoffnungsloser Lage befänden, so würde ich die Erziehung, die Euer Vater offensichtlich an Euch versäumt hat, jetzt handgreiflich nachholen. Ihr seid ein — Lausejunge, wie man so schön in Berlin sagt.«
Eberstein verzog sein Gesicht. Wahrscheinlich sollteein zynisches Lächeln daraus werden; aber es lag nur ein ausgesprochen törichter Ausdruck in seinen Zügen.
»Ihr denkt wohl mit Trauer daran«, faselte er, »daß Ihr nun Euer schönes Fräulein Braut in Kassel nicht mehr wiedersehen werdet, was? Na, die Kleine wäre auch zu schade gewesen für einen Kerl wie Euch.«
Michel konnte nur den Kopf schütteln. Die Bemerkung des unbeherrschten Rittmeisters ließ ihn kalt. Wozu sollte er sich mit einem so unreifen Burschen herumstreiten? Selbst für eine Maulschelle waren ihm im Augenblick seine Kräfte zu kostbar.
Plötzlich hörte er von dem behelfsmäßigen Ausguck einen Ruf, der ihm wie Metall in die Knochen fuhr. Deste hatte Wache. Und wieder war es die Stimme des treuen Spaniers. Seine Worte hatten eine magische Kraft: »Schiff steuerbord voraus. Fährt mit Positionslampe!«
Michel gab die Meldung in deutscher Sprache weiter. Ein ohrenbetäubendes Geheul setzte ein. Jardin band das Steuer fest und rannte in die Kajüte, wo er vor ein paar Wochen eine Schachtel mit Leuchtraketen gefunden hatte. Außer Atem stand er jetzt neben Michel. »Sollen wir--wollen wir--sie anzünden?«
Ein paar Minuten später zischte die erste rote Notrakete in den nächtlichen Himmel empor. Als die ersten zehn verschossen waren, wartete man fieberhaft auf Antwort. Aber es ereignete sich nichts.
»Was gibts, Carlos Deste? Hast du das Schiff noch im Rohr?« Schweigen...
Dann kam die niederschmetternde Antwort aus dem Ausguck:
»Sie haben die Positionslampen gelöscht. Es ist nichts mehr zu sehen.«
»Demonio«, schrie Jardin weinend, »sie wollen uns nicht retten! Wer seine Positionslampe
versteckt, hat die Absicht, ungesehen zu entkommen. Maria, heilige Mutter Gottes, hilf!«
Der Kleine brach dort, wo er stand, zusammen. Die Nervenanspannung war zuviel für ihn.
»Weiter Ausschau halten, Deste«, rief Michel. Aber er hatte selbst keine Hoffnung mehr. In seiner Stimme schwang deutlich seine Niedergeschlagenheit mit.
Die Soldaten drängten sich an der Reling. Ihnen war überhaupt noch nicht der ganze Ernst der Situation klargeworden. Mit fiebrigen Augen starrten sie in die Dunkelheit. Diaz Ojo war der einzige, der nicht restlos verzweifelte. Er hatte jahrelang alle Meere befahren und wußte, daß ein rechter Seemann den anderen niemals im Stich ließ, wenn er sich in Not befand. Vielleicht hatte dieses Schiff besondere Gründe, sich nicht sehen zu lassen. Wenn man aber selbst hartnäckig genug war, sich immer wieder in Erinnerung zu bringen, dann wurde selbst ein Pirat weich und eilte zu Hilfe.
Ojo setzte sich auf eine Taurolle und schoß alle zehn Minuten eine Leuchtrakete ab. Er ließ in dieser Beschäftigung nicht nach, bis auch die vorletzte Schachtel leer war. Die letzte wollte er aufheben, falls man doch noch einmal ein paar von diesen Dingern brauchen sollte. Man konnte nie wissen. Manchmal war die Rettung näher, als man für möglich hielt. »Siehst du wieder etwas, Carlos?« fragte er seinen Kameraden im Ausguck. »Nada — nichts«, war die hoffnungslose Auskunft.
»Sie scheinen in Seenot zu sein, o Herr, sie schießen rote Raketen in die Nacht, die Allah
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