El Silbador
bedeuten? Was macht Ihr mit meinen Leuten?«
Michel wandte sich um und erblickte Eberstein. Er schickte sich an, dem Rittmeister eine Erklärung für seine Handlungsweise zu geben.
»Ich habe diesen Mann niedergeschlagen, weil er die Stirn hatte ...«
Eberstein lachte höhnisch auf.
»Spart Euch nur Eure Erklärung. Ich habe gehört, was der Sergeant von Euch wollte--mehr Wasser. Nun, ich befehle, daß von jetzt an mehr Wasser ausgegeben wird. Es ist Eure Angelegenheit, wenn Ihr selbst keinen Durst habt. Ich habe welchen. Weshalb habt Ihr mir als Offizier nicht eine höhere Ration zugebilligt?« Michels Zorn wuchs.
»Ihr wollt mehr haben als die Männer? Verdammt, ich erinnere mich nicht, Euch bisher auch nur ein einziges Mal arbeiten gesehen zu haben. Ihr wißt ja nicht einmal, wie sich ein Segel anfühlt. Und da beansprucht Ihr mehr Wasser?«
»Ihr scheint völlig außer acht zu lassen, mein lieber Baum, daß Ihr es bei mir mit einem Hochgeborenen zu tun habt. Ich werde ...«
»Hört einmal zu, Ihr eigenartiger Hochgeborener, ich bin nicht Euer lieber Baum, verstanden? Ich habe nicht das mindeste Verlangen, mit Leuten Eures Schlages auf eine Stufe gestellt zu werden. Guten Tag!«
Michel drehte sich um und ließ den Rittmeister stehen.
Aber in den nächsten Tagen fühlte er, wie sich hinter seinem Rücken etwas zusammenbraute.
Die Leute führten seine Befehle nicht mehr ordnungsgemäß aus, so daß ihn der Kapitän fuchsteufelswild auf das Durcheinander in der Takelage aufmerksam machen mußte.
Jardin aber hielt sich eisern und legte Hand an, wo er nur konnte. Er pochte keineswegs auf seine Stellung als ehemaliger Erster auf der »Trueno«. Auch Ojo und Deste bewährten sich. Ihnen allein war es zu verdanken, daß das Schiff überhaupt noch annähernd Kurs hielt.
Da, an einem Abend — man befand sich auf 2.1 Grad westlicher Länge und 32 Grad nördlicher Breite — ging der Krach los. Die hessischen Soldaten verlangten rücksichtslos nach mehr Wasser. Dabei konnte man, wenn man Glück hatte, in einem Tag auf Madeira landen.
»Es ist Irrsinn, Leute«, rief Michel, »jetzt das ganze Wasser auszutrinken. Wir wissen nicht, was noch dazwischenkommt. Eine einzige ungünstige Brise, und wir segeln wieder einen anderen Kurs. Wartet doch, bis wir sicher sind, daß wir Madeira erreichen werden!«
»Nichts da! Du hast dich immer vollgesoffen! Jetzt gib Wasser her!«
Michel war der letzte, den Leuten den Dienst, den er ihnen erwiesen hatte, ins Gedächtnis zurückzurufen. Aber jetzt sah er darin die einzige Möglichkeit, um die Lage zu retten.
»Ihr vergeßt, Männer, daß ihr es mir zu danken habt, daß ihr überhaupt noch am Leben seid. Denkt doch daran, was ich für euch getan habe. Wenn ich das Wasser noch zurückhalte, so bestimmt nicht für mich, sondern für uns alle.«
Anstatt einer Antwort erhob sich ein Johlen. Hinter der Meute stand mit verzerrtem Gesicht Graf Eberstein. Da wußte Michel, wer die schwelende Glut zur Flamme der Empörung entfacht hatte. Mit Vernunft war hier nichts mehr auszurichten.
Michel drehte sich plötzlich um und rannte in die Kajüte, die er mit dem Kapitän und Jardin teilte. Eine Minute später erschien er wieder an Deck, sein gefährliches Gewehr in der Hand. »Wer sich den Wasserfässern nur einen Schritt nähert, ist ein toter Mann!« rief er donnernd. Brummend und murrend verliefen sich die Aufrührer und lungerten in der Gegend herum, wo die Wasserfässer aufbewahrt waren.
Michel wachte. Doch er war auch nur ein Mensch; nach Stunden fielen ihm die Augen zu. Kaum hatte das der Graf bemerkt, als er auch schon ein paar Musketiere auf den Schlafenden aufmerksam machte. Die Durstigen stürzten sich wie die Wilden auf die großen, ungeschützten Fässer, schlugen sie an und — soffen, soffen in sich hinein, was hinein ging. Noch bevor der nächste seinen Mund an den Spund halten konnte, war das kostbare Naß in Strömen auf die Planken gelaufen.
Als Michel erwachte, fiel sein erster Blick auf die rasende Meute, entmutigt schloß er die Augen. Man , konnte Menschen nicht helfen, wenn sie keine Hilfe wollten. Hatte nicht die Weltgeschichte oft genug bewiesen, daß ganze Völker mit sehenden Augen und wider besseres Wissen in ihren Untergang gelaufen waren? Wie sollten ausgerechnet diese halb verdursteten Hessen eine Ausnahme machen!
Nach zehn Minuten waren die Fässer leer. Und höchstens ein Drittel der Mannschaft hatte sich sattgetrunken. Zu allem Unglück begannen nun
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