El Silbador
Alten freute ihn. Mochte er ein Piratenkapitän sein, ein Herz hatte er, und er zeigte, daß er auch Herr der Situation sein konnte. Jardin raffte sich auf und eilte mit Michel hinter dem Kapitän her.
Oben sah es jetzt schon anders aus als vor einer halben Stunde. Man hatte alle Segeltuchstücke, die sich noch verwenden ließen, zu einem stattlichen Haufen zusammengetragen.
Der Kapitän griff nach der zuoberst liegenden Leinwand und zog sie auseinander. Dann richtete er seine Blicke auf die Maststümpfe, deren höchster vier Meter maß.
»Habt Ihr Euch schon umgehört, Senor Baum, ob sich unter Euern Landsleuten zufällig ein Zimmermann befindet? Unsere erste Aufgabe muß es sein, das Ruder notdürftig instandzusetzen.
Nur mit den Segeln den Kurs zu halten, ist unmöglich.«
Michel fragte die Leute. Es meldete sich einer, der früher einmal in einer Tischlerwerkstatt in Kassel gearbeitet hatte. Als er aber vernahm, was man von ihm erwartete, kratzte er sich hinter den Ohren und meinte verlegen:
»Ja, ihr Herren, ob ich das zustande bringe, weiß ich nicht. Ich kann einen Tisch machen, und zur Not bringe ich auch einen Schrank fertig, aber ein Ruderblatt...?«
»Das nützt nichts, Mann, Ihr müßt rangehen«, drang Michel in ihn. »Wenn wir das Schiff nicht wenigstens bei ruhiger See steuern können, dann sind wir rettungslos verloren. — Senor Jardin«, wandte er sich an den Kleinen, »wollt Ihr nicht einmal nach dem Ruder sehen?«
Jardin warf statt einer Antwort die Kleider ab, band sich das Ende eines Stricks um den Leib und sprang vom Heck ins Wasser. Tauchend stellte er fest, was es mit dem Ruderschaden auf sich hatte.
Ja, sein Kanonier hatte gut getroffen. Außer der Stange war keine Spur von Holz mehr zu sehen. Das Ruderblatt war wie weggefegt.
Er ließ sich wieder an Deck ziehen und berichtete in seiner lebhaften Art, was er gesehen hatte. »Maldito«, fluchte der Kapitän, »so ist nicht einmal ein kleines Ansatzstück an der runden Stange geblieben, sagt Ihr?« »Nicht ein Fetzen Holz«, bestätigte Jardin.
Der Kapitän wandte sich an den Schreiner und ließ ihm durch Michel sagen, wie man ein Steuer anfertige. Der Alte beschrieb das so genau, daß es ein Kapitän auf der Marineschule des Königs von England nicht besser gekonnt hätte.
Das nützte nun allerdings unserem ehemaligen Zimmermann recht wenig; denn ihm fehlten die einfachsten Materialien. Dennoch ging er guten Muts an die Arbeit. Es ist ja bekannt, daß die Deutschen aus einem alten Lattenzaun — wenn es sein muß — eine Holzvilla herstellen können. Der Zimmermann wußte sich tatsächlich zu helfen. Er stieg in den Schiffsrumpf hinab und besichtigte die Kajüten der Offiziere. Dann riß er kurz entschlossen die Eichentäfelung von einer der Zwischenwände und ließ sie von ein paar Kameraden nach oben bringen. Mit den primitivsten Werkzeugen ging er an die Arbeit. Eine Spitzhacke und ein Stumpfbeil waren alles, was er hatte auftreiben können. Als die ändern sahen, daß aus der Eichenholztäfelung tatsächlich ein Ruder zu werden schien, griffen einige von ihnen zu. Und siehe da, jeder, der mitmachte, entpuppte sich allmählich als ein ebenso guter Zimmermann wie der, dem man zuerst den Auftrag gegeben hatte.
Der Kapitän war nicht wenig verwundert. Zweifelnd wandte er sich an Michel.
»Sagt, Senor Baum, warum haben sich die Zimmerleute vorhin nicht gemeldet, als wir nach ihnen fragten? Erst war keiner da, jetzt sind es plötzlich fünf! Das verstehe ich nicht. Wo es doch um unser aller Rettung geht!«
Michel lachte.
»Ich verstehe Eure Empörung, Capitan. Doch ich kann sie nicht teilen. Denn ich bin fest davon überzeugt, daß nicht einer von diesen geschickten Burschen das Tischlerhandwerk gelernt hat. Sie haben einfach zugesehen, und nun machen sie es ihrem Vorarbeiter nach. Glaubt mir, wäre ein gelernter Zimmermann unter uns gewesen, so hätte er sich sofort gemeldet. Dazu kenne ich meine Landsleute zu gut.«
»Wollt Ihr mich beschwindeln, Senor Baum?«
»Nein, nein, bestimmt nicht. Was ich sagte, war im Ernst gemeint.«
Der alte Porquez nahm seine Mütze ab, kratzte sich den grauen Schädel und schüttelte den Kopf. »Bei Gott, kann man den Leuten vielleicht gar das Segeln beibringen?« »Ganz gewiß — warum auch nicht? Wenn wir ein bißchen Glück und vor allem Zeit haben, könnt Ihr sicherlich aus diesen Landratten eine zuverlässige Schiffsbesatzung machen.« Michel sollte recht behalten. Der alte Porquez
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