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Elantris

Elantris

Titel: Elantris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brandon Sanderson
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dieser winzige Bruchteil durfte entweichen. Selbst dieses kleine bisschen war so hell, dass er vor Licht kaum etwas sehen konnte.
Sorgfältig schrieb die Frau das Aon Ien in die Luft - doch es war nicht nur das Aon Ien, es war komplizierter. Den Kern bildete das vertraute Aon für Heilung, doch an den Seiten befanden sich Dutzende Linien und Schnörkel. Der Junge runzelte die Stirn. Seine Lehrer hatten ihm die Aonen beigebracht, und es kam ihm eigenartig vor, dass diese Frau das Zeichen derart stark veränderte.
Die schöne Elantrierin machte einen letzten Strich an der Seite ihres komplexen Zeichens, und das Aon fing an noch intensiver zu leuchten. Der Junge konnte ein Brennen in seinem Bein spüren, das alsbald seinen Rumpf emporwanderte. Er schrie, aber auf einmal erlosch das Licht. Überrascht schlug der Junge die Augen auf. Das Nachbild des Aons Ien glomm immer noch in seinem Blickfeld. Er blinzelte und sah nach unten. Die Verletzung war verschwunden. Noch nicht einmal eine Narbe war übrig geblieben.
Doch die Schmerzen konnte er immer noch spüren. Sie brannten in seinem Innern, schnitten durch ihn hindurch und ließen seine Seele erzittern. Sie hätten fort sein sollen, doch dem war nicht so.
»Ruh dich jetzt aus, mein Kleiner«, sagte die Elantrierin zärtlich und stieß ihn von sich.
Seine Mutter weinte vor Freude, und selbst sein Vater wirkte zufrieden. Der Junge wollte sie anbrüllen, ihnen zuschneien, dass etwas nicht stimmte. Sein Bein war nicht geheilt. Die Schmerzen waren immer noch da.
Nein! Etwas stimmt nicht! Er versuchte es zu sagen, aber es gelang ihm nicht. Er konnte nicht sprechen ...
»Nein!«, schrie Raoden und setzte sich ruckartig auf. Er blinzelte ein paarmal, ohne sich in der Dunkelheit zurechtzufinden. Schließlich holte er mehrmals tief Luft und griff sich mit der Hand an den Kopf. Die Schmerzen waren tatsächlich immer noch da, und sie waren mittlerweile so stark, dass sie bis in seine Träume gelangten. Inzwischen hatte er Dutzende winziger Wunden und Blutergüsse, obwohl er erst seit ein paar Wochen in Elantris war. Er konnte jede einzelne Verletzung deutlich spüren, und zusammen bildeten sie eine Schmerzwelle, die ihm den Verstand zu rauben drohte.
Stöhnend beugte Raoden sich vor und umklammerte seine Beine, während er gegen die Schmerzen ankämpfte. Schwitzen konnte sein Körper nicht mehr, aber Raoden zitterte am ganzen Leib. Er biss die Zähne zusammen, um die Schmerzen abzuwehren. Langsam und unter großen Mühen gewann er seine Selbstbeherrschung wieder. Er wies die Schmerzen von sich und besänftigte seinen geschundenen Leib. Dann ließ er endlich die Beine los und erhob sich.
Es wurde immer schlimmer. Er wusste, dass es eigentlich nicht so schlimm sein dürfte; schließlich war er noch nicht einmal einen Monat in Elantris. Außerdem war ihm klar, dass die Schmerzen eigentlich gleich bleibend sein sollten, jedenfalls sagten das alle. Doch bei ihm schienen sie in Wellen zu kommen. Die Schmerzen waren immer da - immer bereit, ihn in einem schwachen Moment anzufallen.
Mit einem Seufzen stieß Raoden die Tür zu seinen Gemächern auf. Er fand es immer noch merkwürdig, dass Elantrier schliefen. Ihre Herzen hatten zu schlagen aufgehört, sie mussten nicht mehr atmen. Weshalb benötigten sie Schlaf? Die anderen konnten ihm jedoch keine Antworten geben. Die einzigen echten Experten waren vor zehn Jahren verstorben.
Folglich schlief Raoden, und mit dem Schlaf kamen die Träume. Er war acht Jahre alt gewesen, als er sich das Bein gebrochen hatte. Sein Vater hatte ihn nur sehr ungern in die Stadt gebracht. Schon vor der Reod hatte Iadon Elantris misstraut. Raodens Mutter, die seit nun mehr zwölf Jahren tot war, hatte darauf bestanden.
Als Kind hatte Raoden nicht begriffen, wie knapp er dem Tod entronnen war. Doch er hatte den Schmerz gespürt und das wunderbar friedliche Gefühl, als der Schmerz aufgehört hatte. Er konnte sich noch an die Schönheit der Stadt wie auch ihrer Bewohner erinnern. Iadon hatte auf dem Rückweg verächtlich über Elantris geredet, und Raoden hatte ihm heftig widersprochen. Es war die erste Gelegenheit, an die sich Raoden erinnern konnte, bei der er Stellung gegen seinen Vater bezogen hatte. Später war dies häufig geschehen.
Als Raoden die Hauptkapelle betrat, verließ Saolin seinen Posten an der Tür zu Raodens Gemach und hielt Schritt mit ihm. Im Laufe der Woche hatte der Soldat eine Gruppe Freiwilliger um sich geschart und einen Wachtrupp

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