Elantris
Respekt machen? Es geht schließlich nur um Iadon.
Mit den Kutschen brauchten sie nur eine Viertelstunde, um die Begräbnisstätte zu erreichen. Anfangs sah es wie ein gewaltiges Loch aus, das man gegraben hatte, aber bei genauerem Hinsehen wurde deutlich, dass es eine natürliche Bodensenke war, die man noch vertieft hatte. Auch hinter dieser Wahl stand Roials Sinn für Sparsamkeit.
Ohne viel Aufhebens befahl Roial, den Sarg in das Loch zu senken. Ein großer Trupp Arbeiter machte sich daran, einen Grabhügel darüber zu errichten.
Es überraschte Sarene, wie viele Adelige blieben und zusahen. In den letzten Tagen hatte es sich abgekühlt, von den Bergen wehte ein eiskalter Wind. Es nieselte, und die Sonne wurde von Wolken verdeckt. Sarene hatte erwartet, dass die meisten Aristokraten einer nach dem anderen verschwinden würden, sobald die ersten Schaufeln voll Erde in das Grab geschüttet worden waren.
Doch sie blieben und beobachteten die Arbeit schweigend.
Sarene, die tatsächlich wieder einmal Schwarz trug, zog ihren Schal fester, um sich vor der Kälte zu schützen. Da war etwas in den Augen der Adeligen. Iadon war der erste König von Arelon gewesen, seine Herrschaft war - trotz ihrer kurzen Dauer - der Anfangspunkt einer Tradition gewesen. Noch jahrhundertelang würden die Menschen sich an Iadons Namen erinnern, und die Kinder würden in der Schule lernen, wie er in einem Land an die Macht gekommen war, dessen Götter tot waren.
War es ein Wunder, dass er sich den Mysterien zugewandt hatte? Bei allem, was er mit angesehen hatte - der Pracht Elantris' vor der Reod und dem nachfolgenden Tod einer Ära, die man für ewig gehalten hatte -, war es ein Wunder, dass er versucht hatte, das Chaos zu beherrschen, das im Land der Götter zu wüten schien? Sarene hatte das Gefühl, Iadon ein wenig besser zu verstehen, als sie dort in der kalten Feuchtigkeit stand und zusah, wie das Erdreich langsam den Sarg des toten Königs verhüllte.
Erst als die letzte Schaufel Erde geleert, der letzte Teil des Grabhügels festgeklopft war, wandten sich die arelischen Adeligen endlich zum Gehen. Es war eine leise Prozession, und Sarene bemerkte es kaum. Sie stand noch ein wenig länger dort und betrachtete das Hügelgrab des Königs in dem für nachmittags ungewöhnlichen Nebel. Iadon war tot. Es war Zeit für jemand Neuen an der Spitze von Arelon.
Jemand legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter, und als sie sich umdrehte, blickte sie direkt in Roials tröstende Augen. »Wir müssen los, Sarene.«
Sarene nickte und ließ sich wegführen.
Sarene kniete in der vertrauten korathischen Kapelle mit der niedrigen Decke. Sie war allein, denn es war Brauch, dass eine
Braut ein letztes Mal ganz für sich mit Domi kommunizierte, bevor sie das Ehegelöbnis ablegte.
Von Kopf bis Fuß war sie in Weiß gekleidet. Sie trug das Kleid, das sie für ihre erste Hochzeit mitgebracht hatte: ein keusches, hochgeschlossenes Kleid, das ihr Vater ausgesucht hatte. Außerdem hatte sie weiße Seidenhandschuhe angezo gen, die ihr bis zu den Schultern reichten, und ihr Gesicht war von einem dichten Schleier verhüllt - der traditionsgemäß erst gelüftet würde, wenn sie ihrem Verlobten gegenübertrat.
Sie war sich nicht sicher, was ihr Gebet beinhalten sollte. Sarene betrachtete sich selbst als religiös, auch wenn sie bei Weitem nicht so fromm wie Eondel war. Ihr Kampf um Teod war im Grunde ein Kampf um die korathische Religion. Sie glaubte an Domi und betrachtete ihn voll Ehrfurcht. Den Lehren der Priester folgte sie treu, auch wenn sie insgesamt vielleicht ein wenig zu eigensinnig war.
Jetzt schien es, als habe Domi endlich ihre Gebete erhört. Er hatte ihr einen Ehemann geschenkt, selbst wenn dieser ihren Erwartungen nicht im Geringsten entsprach. Vielleicht, dachte sie, hätte ich mich ein bisschen genauer ausdrücken sollen.
Der Gedanke war jedoch bar jeder Bitterkeit. Sie hatte fast ihr ganzes Leben lang gewusst, dass ihr eine politische Heirat vorherbestimmt war und keine Liebesheirat. Roial war gewiss einer der anständigsten Männer, denen sie je begegnet war - auch wenn er alt genug war, um ihr Vater oder gar ihr Großvater zu sein. Doch sie hatte schon von Eheschließungen aus Gründen der Staatsräson gehört, die noch ungleicher gewesen waren. Etliche jindoesische Könige hatten bekanntlich Bräute gehabt, die erst zwölf Jahre alt waren.
Aus diesem Grund war ihr Gebet ein Dankgebet. Sie war sich darüber im Klaren, dass ihr ein Segen
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