Elantris
sollte es eben so sein.
»Lord Lebensgeist!«, rief eine hektische Stimme.
Raoden blickte auf und sah den besorgten Saolin hereinstürzen. Der Söldner mit der krummen Nase hatte sich einen Speer aus einem nur halbwegs verrotteten Stück Holz und einem scharfen Stein gebastelt und patrouillierte nun regelmäßig durch die Gegend um die Kapelle. Das narbige elantrische Gesicht des Mannes wies etliche Sorgenfalten auf.
»Was ist los, Saolin?«, fragte Raoden beunruhigt. Bei dem Mann handelte es sich um einen erfahrenen Krieger, der sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen ließ.
»Eine Gruppe bewaffneter Männer ist auf dem Weg hierher, Mylord. Ich habe zwölf von ihnen gezählt, und sie tragen stählerne Waffen bei sich.«
»Aus Stahl?«, fragte Raoden. »In Elantris? Ich wusste gar nicht, dass es hier so etwas gibt.«
»Sie kommen schnell näher, Mylord«, sagte Saolin. »Was sollen wir tun? Sie sind schon beinahe hier.«
»Sie sind hier«, sagte Raoden, als eine Gruppe Männer durch die offene Eingangstür der Kapelle stürmte. Saolin hatte recht: Etliche Männer trugen stählerne Waffen, auch wenn die Klingen angeschlagen und rostig waren. Die Truppe war ein finster dreinblickender, unangenehmer Haufen, der von einer vertrauten Gestalt angeführt wurde - oder zumindest aus der Entfernung vertraut.
»Karata«, sagte Raoden.
Loren hätte am Vortag ihr gehören sollen, doch Raoden hatte ihn ihr weggeschnappt. Anscheinend war sie gekommen, um sich darüber zu beschweren. Im Grunde war es nur eine Frage der Zeit gewesen.
Raoden warf Saolin einen Blick zu. Der Soldat schob sich Stück für Stück vorwärts, als sei er begierig, seinen behelfsmäßigen Speer auszuprobieren. »Weicht nicht von der Stelle!«, befahl Raoden.
Karata hatte eine Glatze, die sie der Shaod verdankte, und sie hielt sich schon so lange in der Stadt auf, dass ihre Haut anfing, runzelig zu werden. Sie hatte jedoch ein stolzes Gesicht und entschlossene Augen; die Augen eines Menschen, der sich den Schmerzen noch nicht ergeben hatte und das auf absehbare Zeit auch nicht tun würde. Sie trug dunkle Kleidung aus zerschlissenem Leder - für elantrische Verhältnisse geschickt gearbeitet.
Sie blickte sich in der Kapelle um, betrachtete die neue Decke und dann die Mitglieder von Raodens Truppe, die sich draußen vor dem Fenster versammelt hatten und das Schauspiel besorgt beobachteten. Mareshe und Kahar standen reglos an der Rückwand des Saales. Zuletzt richtete Karata den Blick auf Raoden.
Es herrschte angespanntes Schweigen. Schließlich sagte Karata zu einem ihrer Männer: »Zerstört das Gebäude, jagt sie raus und brecht ihnen ein paar Knochen.« Dann wandte sie sich zum Gehen.
»Ich kann Euch in Iadons Palast bringen«, sagte Raoden leise.
Karata erstarrte.
»Das wollt Ihr doch, oder?«, fragte Raoden. »Die elantrische Stadtwache hat Euch in Kae aufgegriffen. Sie werden Euch nicht ewig gewähren lassen. Elantrier, die zu oft entkommen, werden verbrannt. Wenn Ihr wirklich in den Palast gelangen möchtet, kann ich Euch dorthin bringen.«
»Wir werden es nie aus der Stadt rausschaffen«, sagte Karata und warf ihm einen skeptischen Blick über die Schulter zu. »Letztens haben sie die Wachen verdoppelt; sollte einen guten Eindruck machen wegen irgendsoeiner königlichen Hochzeit. Ich habe es schon seit einem Monat nicht mehr nach draußen geschafft.«
»Aus der Stadt rausbringen kann ich Euch auch«, versprach Raoden.
Karatas Augen verengten sich misstrauisch. Raoden hatte mit keinem Wort einen Preis erwähnt. Sie beide wussten, dass er nur eine einzige Sache fordern konnte: in Ruhe gelassen zu werden. »Ihr seid verzweifelt«, stellte sie schließlich fest.
»Stimmt. Aber ich bin außerdem ein Opportunist.«
Karata nickte langsam. »Ich kehre bei Einbruch der Nacht zurück. Ihr werdet Euer Versprechen halten, oder meine Männer werden jedem Einzelnen hier sämtliche Knochen brechen und Eure Leute unter Qualen verrotten lassen.«
»Verstanden.«
»Sule, meiner Meinung nach ...«
»Ist das keine gute Idee«, beendete Raoden den Satz mit dem Anflug eines Lächelns. »Ja, Galladon, ich weiß.«
»Elantris ist eine große Stadt«, sagte Galladon. »Es gibt reichlich Verstecke, in denen uns nicht einmal Karata finden würde. Sie kann nicht allzu viele ihrer Leute nach uns suchen lassen, weil ansonsten Shaor und Aanden ihr Hauptquartier angreifen. Kolo?«
»Ja, aber was dann?«, fragte Raoden, der die Festigkeit eines Seiles testete, das Mareshe aus ein paar
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