Elben Drachen Schatten
Die Fratze kam Keandir bekannt vor. Aber er konnte nicht sagen woher.
Der lippenlose Mund öffnete sich, versuchte etwas zu sagen, aber Keandir vernahm nur ein unverständliches Gemurmel.
Dann deckte sich die ursprüngliche Schwärze des Seewassers wie ein Leichentuch über die Visionen.
Das Wasser geriet in Bewegung.
Eine Welle wölbte sich empor und schwappte an das schmale Ufer des unterirdischen Sees. Keandir wich einen Schritt zurück. Aber er war nicht schnell genug. Das dunkle Wasser umspülte seine Füße bis zu den Knöcheln.
Etwas tauchte aus der Schwärze empor. Ein gewaltiger Krebs mit dämonisch glühenden Augen, der seine Scheren gegeneinander rieb.
Das war der schabende Laut, den der König auf dem Weg zu dieser Höhle vernommen hatte!
Nur dass dieses Geräusch in diesen Momenten eine für Keandirs Sinne fast unerträgliche Schärfe hatte. Er hatte das Gefühl, als müssten ihm die Trommelfelle zerreißen. Das krebsartige Ungeheuer watete auf seinen sechs Beinen durch das Wasser. Die rot leuchtenden Augen fixierten Keandir.
Der Elbenkönig taumelte zurück und riss instinktiv sein Schwert heraus. Er blickte zur Seite, sah aber weder Branagorn noch den Augenlosen Seher. Beide waren verschwunden – ebenso wie der Eingang in die Höhle, in der er sich befand.
Mit einer Schnelligkeit, die Keandir dem Monstrum kaum zugetraut hatte, schnellte es auf einmal nach vorn und schnappte mit den Scheren nach dem Elbenkönig.
Keandir duckte sich gerade noch rechtzeitig, sodass die Scheren über ihn hinweg griffen. Sie schlossen sich mit einem Schnapplaut. Keandir hieb mit dem Schwert auf eine dieser gefährlichen Waffen seines Gegners ein. Aber selbst der harte Elbenstahl, aus dem Trolltöter geschmiedet war, prallte von dem hornartigen Material ab, aus dem die Scheren bestanden.
Einem weiteren Angriff entging der König nur knapp.
Er wich weiter zurück und stand schließlich mit dem Rücken zur Felswand.
Mit dem Mut der Verzweiflung drosch er mit dem Schwert auf die Kreatur ein. Hart krachte der Elbenstahl, aus dem Trolltöter von einem Hochmeister der elbischen Schmiedekunst gefertigt worden war, auf die Scheren. Doch immer mehr brachte ihn die Kreatur in Bedrängnis. Ihr ausweichen konnte er nicht mehr. Hinter ihm war nur noch feuchtkalter Fels. Wieder schnappten die Scheren nach ihm und verfehlten ihn nur knapp. Ein zuerst hechelnder, dann schmatzender Laut drang aus der Fressöffnung des Monstrums.
In was für eine Höllenmenagerie war er da geraten? Hatte er die Mächte des Schicksals durch seine Neugier dermaßen herausgefordert, dass er so ein Ende verdiente? Zerhackt von den Hornscheren eines Monstrums, welches vermutlich seit Urzeiten in diesem dunklen Wasserloch hauste, das vom Augenlosen Seher als See des Schicksals angepriesen worden war?
Der Gedanke an den Tod schreckte Keandir nicht. Anders als in jenem Moment, als er den geflügelten Affen in hoffnungsloser Lage gegenübergestanden hatte, war das vorherrschende Gefühl nicht das Bedauern darüber, seine geliebte Ruwen nie wiederzusehen ― ein anderes Gefühl beherrschte ihn in diesen Momenten: Erleichterung. Die Tatsache, dass er so empfand, erschreckte ihn. Die Verheißung, die Ruwens Schwangerschaft bedeutete, erschien ihm auf einmal wie die lichte Seite eines tragischen Geschicks, dessen dunkle, fratzenhafte Doppelnatur ihm erst beim Blick in den See bewusst geworden war. Alles hatte seine zwei Seiten, und war er bisher der Überzeugung gewesen, den Weg in eine verheißungsvolle Zukunft zu folgen, so war er sich inzwischen seiner Sache schon längst nicht mehr sicher.
Die Erinnerung an das bleiche Antlitz unter der Kapuze drängte sich selbst in diesem Augenblick der Gefahr mit aller Macht in seine Gedanken, und die grausige Höllenfratze schien ihn zu verspotten.
Keandir wich erneut dem Vorstoß der Scheren aus. Nur die elbenhafte Geschmeidigkeit und Schnelligkeit seiner Bewegungen retteten ihm das Leben. Zum wiederholten Mal duckte sich Keandir, tauchte unter der Schere des monströsen Angreifers hinweg und stieß die Schwertspitze mit aller Kraft in die Lücke zwischen den Hornplatten, aus denen die dämonisch leuchtenden Augen auf ihn starrten.
Ein zischender Laut erklang.
Rote, blitzähnliche Funken tanzten über die Schwertklinge Trolltöters, erfassten Keandirs Arm und ließen von dort einen grausamen Schmerz durch seinen gesamten Körper fahren.
Keandir schrie auf und zog die Klinge zurück.
Er taumelte, strauchelte
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