Elben Drachen Schatten
Rand des Schicksalssees entlang. Er kletterte über ein paar Felsbrocken. Der Streifen am Rand des Sees wurde zunächst schmaler, dann erreichte Keandir ein breiteres Stück mit zahlreichen Tropfsteinen, die von der Decke hingen oder aus dem Boden wuchsen: Stalagmiten und Stalaktiten, die sich teilweise trafen und Säulen bildeten, so genannte Stalagnate. Ein flimmerndes, unruhiges Leuchten ging von ihnen aus. Die Unebenheiten auf dem feuchten Stein warfen Schatten, die wie feine Zeichnungen wirkten. Zeichnungen, in denen man alles Mögliche erkennen konnte. Sie bildeten Linien, Gesichter, Gestalten.
Keandir wandte den Blick ab, denn er befürchtete, dass sich sein Geist darin verlieren konnte.
»Warum so furchtsam?«, dröhnte auf einmal eine geisterhafte Stimme. Obwohl sie vielfach durch die Höhle widerzuhallen schien, erkannte Keandir, dass er sie nicht mit seinen empfindsamen spitzen Ohren hörte, sondern dass der Sprecher in seine Gedanken eingedrungen war.
Im ersten Moment dachte er, es wäre der Augenlose Seher, der die Worte an ihn gerichtet hatte. Dann aber war sich Keandir nicht mehr sicher.
Die Kreatur verfolgte ihn, schnellte aus dem Wasser und griff ihn erneut an. Die Scheren schnappten nach ihm, und Keandir schlug mit dem Schwert in seiner Linken zu.
Der Riesenkrebs war nun sehr viel vorsichtiger. Im Licht der leuchtenden Tropfsteine war auch deutlich zu sehen, wie schwer er durch Keandirs Stich verletzt worden war. Seitlich der Fressöffnung klaffte eine Wunde, aus der noch immer pechschwarzer, zähflüssiger Schleim quoll. Gleichzeitig hauchte das Monstrum dem Elbenkönig einen Schwall grüngelben giftigen Atems entgegen. Halb betäubt wich Keandir zurück.
Der Krebs folgte ihm, und mit der linken Schere erwischte er Keandir am Bein, schnitt durch das widerstandsfähige Leder seines Stiefels. Ein höllischer Schmerz durchfuhr den König.
Der Krebs hielt das Bein in seinem Scherengriff, dann ein heftiger Ruck, und Keandir verlor das Gleichgewicht. Das Monstrum zog ihn zu sich heran, während sich die Fresshöhle abermals öffnete, um giftigen Atem entweichen zu lassen.
Die sechs Beine des Monstrums stießen gleichzeitig nach vorn, sodass es auf seinem Unterpanzer über die glatten Steine am Ufer rutschte, auf das Wasser zu.
Keandir wurde mitgeschleift. Halb betäubt durch den Giftatem des Ungeheuers und beeinträchtigt durch seinen nutzlosen rechten Arm hatte er seinem Gegner in diesem Moment nichts entgegenzusetzen.
Das dunkle Wasser spritzte auf, als der Krebs den Elben in sein Element zog. Keandir krallte die Linke um sein Schwert. Nur die Waffe nicht verlieren … Das war alles, woran er während der letzten drei Herzschläge hatte denken können.
Das Monstrum hielt kurz inne, nur um das Bein des Elben dann umso fester zu packen und ihn weiter mit sich zu schleifen – hinein in das dunkle Wasser, in dem die Schattenkreatur hauste.
Der Elbenkönig nahm all seine Kraft zusammen. Seine Linke umklammerte den bernsteinbesetzten Schwertgriff. Trolltöter wirbelte durch die Luft, und die scharfe Klinge traf genau dort, wo sich das Gelenk jener Schere befand, die Keandirs Unterschenkel in ihren erbarmungslosen Griff genommen hatte.
Sofort setzte Keandir einen zweiten Hieb hinterher, an dieselbe Stelle.
Das Gelenk brach. Der vordere Teil der Schere wurde abgetrennt. Keandir spürte, wie sich der schmerzhafte Druck auf sein Bein verringerte. Das Ungeheuer wich zurück, und nun ging Keandir seinerseits zum Angriff über.
Er stand auf und ignorierte den Schmerz in seinem Bein. Bis zu den Waden stand er im dunklen Wasser, dessen fauliger Geruch sich mit dem stehenden Atem des Riesenkrebses mischte; der Gestank war für die empfindlichen Sinne des Elben nur schwer zu ertragen. Keandir würgte und kämpfte gegen einen Brechreiz an. Ein entschlossener Zug legte sich auf das Gesicht des Königs, er war vollkommen auf den Gegner konzentriert, der den Verlust der Schere offenbar noch nicht verwunden hatte. Der Krebs ruderte mit dem zurückgebliebenen Stumpf, aus dem schwarzes, zähflüssiges Blut quoll. Die Fresshöhle öffnete und schloss sich, ohne einen Ton hervorzubringen.
Keandir watete auf den Krebs zu. Bald stand er bis über die Knie im Wasser. Der Untergrund war sumpfig und gab nach. Wenn er länger als ein paar Herzschläge verharrte, bekam er Schwierigkeiten, die Füße wieder frei zu bekommen.
Mit ein paar schnellen Schritten näherte sich der Elbenkönig dem Monstrum und führte in
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