Elben Drachen Schatten
mitgebracht hatte. Doch das Schloss war so verrostet, dass es unmöglich war, den Schlüssel einzuführen.
Die Gedanken rasten ihm durch den Kopf. Was war der eigentliche Grund dafür, dass er die Stäbe verschlossen hielt? Allein die Sorge, dass sich Magolas einem düsteren, unerklärlichen Interesse für sie hingab? Oder war es vielmehr das tief verborgene, aber immer unterschwellig in ihm rumorende Wissen, dass er die gleiche Faszination empfand? Vielleicht wollte er nicht nur Magolas schützen, sondern ebenso sich selbst …
Schritte ließen ihn herumfahren. Es war Prinz Sandrilas, der mit einer Fackel in der Hand auf ihn zukam. Keandir steckte den Schlüssel wieder in den Beutel an seinem Gürtel.
»Warum nehmt Ihr nicht Euer Schwert und zerschlagt das Schloss! Es ist so rostig, dass es sofort zerbrechen wird, ohne dass Euer Schwert Schicksalsbezwinger einen einzigen Kratzer abbekommen.«
Keandir schluckte. Die Blicke der beiden Elben begegneten sich. »Es ist gut, dass die Zauberstäbe verschlossen sind«, sagte der König. »Ich bin dagegen, dass wir uns ihrer düsteren Kraft bedienen. Im Nachhinein wird mir klar, dass es ein Fehler war, sie überhaupt mitzunehmen.«
»Es war Thamandors Wunsch«, erinnerte ihn Sandrilas. »Aber ich bin mir sicher, dass Ihr die Mitnahme der Stäbe seinerzeit gar nicht zugelassen hättet, wenn es Eurem Wunsch wirklich widersprochen hätte. Gebt es zu, mein König, Ihr empfindet das gleiche Schaudern bei dem Gedanken an diese Gegenstände wie Euer Sohn Magolas.«
»Und wenn schon …«
Prinz Sandrilas berührte den Griff des Schwerts, das an seiner Seite in der Scheide steckte. »Ich habe am eigenen Leib erfahren, dass das Böse schlagartig von einem Besitz ergreifen kann, mein König. Als ich Düsterklinge in das Feuer des brennenden Steins hielt, in dem die Ouroungour ihre Waffen erneuerten, überkam mich ein unbändiger Hass und ein Drang, dem ich fast erlegen wäre ― ich hätte diese Waffe beinahe gegen Eure treuen Untertanen Merandil, Lirandil und Thamandor gerichtet, denen ich mich eng verbunden fühle. Andererseits erschlug ich mit dieser Waffe den Augenlosen Seher – etwas, das mir nur möglich war durch den Zauber des brennenden Steins. Offenbar kann man eine Magie, die vom Bösen geschaffen wurde, auch gegen das Böse und damit zum Guten verwenden. Warum sollten wir die Zauberstäbe also nicht im Dienste des Elbenreichs einsetzen? Wir werden in Zukunft sehr mächtige Waffen brauchen, mein König. Viel mächtigere, als selbst unser arrivierter Waffenmeister Thamandor sie herzustellen weiß.«
»Da bin ich mit Euch einer Meinung, werter Prinz Sandrilas«, stimmte der Elbenkönig zu. »Aber ich hoffe, dass wir die Magie dieser Stäbe niemals werden gebrauchen müssen.«
Sandrilas nickte nur – und auf einmal erinnerte er sich wieder daran, was Lirandil der Fährtensucher damals auf der Insel des Augenlosen Sehers zu ihm gesagt hatte: » Ich weiß nicht, ob diese finstere Magie noch in Euch ist – aber sollte sie je Macht über Euch erlangen, so werde ich mich Euch entgegenstellen. Das solltet Ihr wissen.«
Es war seltsam, dass ihm diese Worte gerade in diesem Moment, da er mit seinem König über die Stäbe des Augenlosen sprach, wieder in den Sinn kamen. Er schaute Keandir an – und sah, dass sich dessen Augen verengten. Er fixierte Sandrilas einen Moment lang mit seinem Blick, und Sandrilas befürchtete schon, seine Gedanken laut ausgesprochen zu haben, aber dann sagte der Elbenkönig: »Magolas war während meiner Abwesenheit hier unten. Ich kann es spüren. Spuren seines Geruchs und seiner Aura sind hier …«
»Ja, das ist wahr«, gestand Sandrilas. »Aber er hat die Grenze, die Ihr gesetzt habt, nicht überschritten und ist nicht in die Kammer eingedrungen.«
»Weil Ihr ihn überrascht habt?«
»Nein. Weil er den Wunsch seines Vaters respektiert.«
Keandir seufzte. »Vielleicht schicke ich ihn eine Weile in königlicher Mission im Land umher, damit die Versuchung durch die Stäbe nicht zu stark wird …«
Es dauerte fast ein Menschenalter, bis Andir es mit Hilfe der elbischen Magier und Schamanen geschafft hatte, die große Mauer erstehen zu lassen, die sich wie geplant an der Grenze zwischen dem elbareanischen Hochland und der Ebene von Aratan entlangzog – von der Küste des Zwischenländischen Meeres bis zu den Bergen der Zylopier. Andir bestand darauf, dass zumindest die Fundamente dieser mit Magie erschaffenen Wehrmauer aus solidem Gestein
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