Elben Drachen Schatten
ihnen. In seinem Kopf hörte er noch immer Kirias Weinen. Er hatte sie gesehen!
Er hatte nur ein Gespenst gesehen.
"Was geschieht mit den Toten?", fragte Edro nun den Düsteren.
"Ich weiß es nicht. Aber Ihr, Herr Edro, Ihr müsstet es wissen. Habt Ihr nicht im Garten der weinenden Seelen mit der Schwarzen Blume des Todes gesprochen?"
"Ja, das habe ich." Edro seufzte.
"Hat sie Euch keine Antwort gegeben?"
"Doch, das hat sie. Und sie hat es auch wieder nicht. Sie sagte: Der Tod sei ein Schlaf und jeder Schlaf ein kleiner Tod." Die Brandung donnerte wild und der Düstere entfernte sich plötzlich von Edro. Er ging aufs Meer hinaus. Er lief auf den Wellen, als wären sie fester Untergrund.
"Heh, wohin wollt Ihr?", rief Edro erschrocken aus.
"Ich gehe weg."
"Wartet! Bleibt doch hier!"
"Das kann ich nicht!"
Das waren die letzten Worte des Düsteren, die Edro vernahm.
Irgendwo am Horizont verschwand er, um nie wieder aufzutauchen.
Da bemerkte Edro plötzlich, dass er wieder einen Schatten warf. Aber der Dakorier war seltsamerweise gar nicht froh darüber.
Ziellos und verzweifelt kletterte er zwischen den öden Felsen umher. Er sehnte sich nach der Schwarzen Blume.
"Wäre ich doch nur im Garten der weinenden Seelen!", rief er laut aus.
"Ich wachse nicht nur im Garten der weinenden Seelen , mein Freund Edro! Ich wachse auch hier auf der Insel der Verzweiflung !", hauchte da plötzlich eine Stimme. Edro erstarrte.
Diese Stimme kannte er. Sie war so süß und gleichzeitig so grausam. Da bemerkte er auf dem nackten Fels plötzlich eine Blüte.
Sie war so schwarz wie die Finsternis selbst und zwei leuchtende Augen funkelten seltsam.
"Du bist die Schwarze Blume?"
"Erkennst du mich nicht, Edro?"
Er beugte sich zu der kleinen Pflanze nieder. "Doch, ich erkenne dich!"
"Dann lass dich von mir umarmen!"
Seltsame, aus Finsternis gewachsene Arme streckten sich daraufhin nach Edro aus.
*
Edro erwachte aus einem tiefen, traumlosen Schlaf. Er hatte jegliches Gefühl für Raum und Zeit verloren und wusste nicht, wie lange es her war, dass die schwarze Blume sich ihm genähert hatte.
Jetzt öffnete er die Augen und stellte fest, dass Dunkelheit ihn umgab. Die Dunkelheit der Nacht hatte sich über ihn gesenkt.
Am Himmel funkelten die Sterne. Der Mond, als großes Oval, sah wie das allsehende Auge einer mächtigen, aber ungeheuer weit entfernten Wesenheit auf ihn herab. Es war eine helle Nacht. Im Hintergrund rauschte das Meer. Die Wellen klatschten an die felsige Küste.
Edro erhob sich und blickte dorthin, wo sich die schwarze Blume befunden hatte. Er fand nicht mehr als ein paar verdorrte Überreste. Mehr war nicht von ihr geblieben.
Dafür verspürte er jetzt eine Kraft in sich, die vorher nicht da gewesen war. Lethargie und Verzweiflung, die ihn soeben noch erfüllt hatten, waren jetzt wie weggeblasen. Er fühlte sich so stark und kräftig, wie schon lange nicht mehr.
Was war geschehen? Hatte er nicht das Vergessen gesucht?
Sein Blick streifte noch einmal kurz die verdorrten Überreste der schwarzen Blume und glitt dann zu einem der schroffen Felsen hinüber. Dahinten leuchtete etwas.
Diese Lichterscheinung wirkte wie ein sehr fernes Gewitter. Sie flackerte rhythmisch auf.
Was mag dort sein?, fragte sich Edro. Dann raffte er seinen Mantel zusammen und wandte sich in Richtung dieser Lichterscheinung. Er kletterte über die Felsen und bekam schließlich einen freien Blick auf die schroffe Küste. Wabernde Nebelfelder standen weiß leuchtend auf dem Meer. Die Wellen waren flach, kaum mehr als ein leichtes Kräuseln der Wasseroberfläche.
Aus diesen Nebelschwaden heraus führte eine Brücke. Sie schimmerte metallisch und Edro erkannte, dass von ihr das pulsierende Leuchten ausging, das er bereits jenseits der Felsen gesehen hatte.
Eine Brücke ins Nichts, überlegte Edro. So hatte es zumindest den Anschein, auch wenn das wider alle Logik und Erfahrung war. Die Brücke endete auf einem Felsplateau, etwas oberhalb der zerklüfteten Küste. Dorthin versuchte Edro nun zu gelangen. Es war nicht einfach, aber schließlich gelangte er auf einen trittfesten Pfad und erreichte das Plateau.
Am Beginn des Brückengeländers bewachten aus Metall gegossene geflügelte Affen den Zugang. Starr standen sie da. In den Händen hielten sie Dreizacke, die sie übereinander gekreuzt hatten. So als wollten diese Standbilder jeden Unbefugten den Zutritt zur Brücke verwehren.
Edro wollte einfach unter diesen Dreizacken
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