Elben Drachen Schatten
endlich untertauchte.
Keandir versuchte seine Beine zu bewegen, aber längst waren auch sie von der Lähmung befallen. Bis zu den Knöcheln war er innerhalb weniger Augenblicke, während er an derselben Stelle gestanden hatte, eingesunken. Er versuchte seine Füße zu befreien und sie hochzuziehen. Unter Aufbietung aller Willenskraft gelang es ihm schließlich. Dabei verlor er jedoch das Gleichgewicht, stolperte taumelnd zurück ins knietiefe Wasser. Irgendetwas Dunkles, Glitschiges wich vor ihm zurück. Für den Bruchteil eines Augenaufschlags bemerkte er aalartige, schlangenhafte Kreaturen, die im See schwammen, dann kippte er um, fiel ins Wasser, und die brackige schwarze Brühe schlug über ihm zusammen.
Er war unfähig, auch nur die geringste Bewegung auszuführen. Die aalartigen augenlosen Kreaturen durchpflügten von allen Seiten das Wasser, und hin und wieder tauchten ihre glitschigen Leiber für Augenblicke aus dem Dunkel des Schicksalssees auf.
Keandir betrachtete diese grausige Szene aus der Vogelperspektive, als würde er von der Höhlendecke aus das Geschehen beobachten. Er sah seinen eigenen regungslosen Körper im schwarzen Wasser treiben wie einen Leichnam.
Sollte das wirklich das Ende sein? Sollte der König der Elben an diesem Ort seinem Schicksal erliegen, das ihn in Form eines krebsartigen Monstrums und einem Schwarm von blindem, aasfressendem Wassergewürm ereilte?
Er glaubte die höhnische Geisterstimme des Augenlosen zu vernehmen, dessen Umriss wieder als übermächtiger Schatten an der Felswand erschien.
»Der Tod ist unter Euch Söhnen des Lichts anscheinend selten geworden. So selten, dass Euch das Bewusstsein für die Mächte des Schicksals völlig abhanden gekommen ist. So werdet Ihr das nächste Äon nicht überstehen, denn Voraussetzung für das Überleben ist das Bewusstsein für die Allgegenwart des Todes.« Ein hämisches Kichern folgte.
Das Bild vor Keandirs geistigem Auge löste sich auf, verschwamm wie ein Aquarell. Farben und Formen mischten sich und bildeten einen Strudel von durcheinander wirbelnden Eindrücken. Keandir spürte nicht mehr, wie die riesigen blinden Aale damit begannen, das Blut aus seinem verwundeten Bein zu saugen und seine Kleidung zu fressen.
4. Kapitel:
Prinz Sandrilas
Prinz Sandrilas war zusammen mit einem Trupp von fünfzig Elbenkriegern aufgebrochen, um seinem König zu Hilfe zu eilen, als sie aus der Ferne den Kampfeslärm hörten. Doch Sandrilas ahnte, dass er mit seinen Männern nicht mehr rechtzeitig eintreffen würde, um noch in das Geschehen eingreifen zu können. Und mit dieser düsteren Ahnung sollte er Recht behalten. Die Todesschreie der Elben drangen an Sandrilas’ empfindliche Ohren und versetzten seiner Seele jedes Mal einen Stich, dann war plötzlich nichts mehr zu hören außer dem Kreischen der geflügelten Affen.
Schließlich … Stille.
Eine Stille, die schlimmer war als alles zuvor.
Inzwischen hatten Sandrilas und sein Trupp das Felsplateau erreicht, auf dem der Kampf gewütet hatte.
Die Spuren waren unübersehbar. Große dunkle Flecken zeugten davon, dass viel Blut vergossen worden war.
Aber nirgends waren Tote zu finden.
Lediglich die abgeschlagene Pranke eines Geflügelten lag in einer Lache getrockneten Affenbluts. Ansonsten waren noch ein paar verstreut liegende Gegenstände zu finden, welche die Sieger nicht mitgenommen hatten, wahrscheinlich weil sie ihnen nicht wertvoll genug erschienen waren: der blutgetränkte Umhang eines Elben und ein Helm sowie ein magisches Amulett aus Ebenholz in Form eines Halbkreises, in das mehrere verschlungene Symbole geschnitzt waren. Außerdem fand sich ein zerbrochener Elbenbogen.
Zu Sandrilas’ Trupp gehörte auch der Hornbläser Merandil. Er hob das Amulett auf und reichte es Sandrilas. »Ich kenne nur zwei Männer, die solche Amulette tragen«, sagte er.
Sandrilas nickte. Ein grimmiger Zug trat in das Gesicht des Einäugigen. »Moronuir und Karandil!«, murmelte er. Die beiden Leibwächter des Elbenkönigs hatten Amulette dieser Art einst von Keandirs Vater erhalten. »Die magischen Zeichen sollten die Brüder vor Gefahr schützen. Aber offenbar war der Zauber nicht stark genug!«
»Seht es positiv, Prinz Sandrilas«, sagte Merandil. »Wir haben bis jetzt keine Toten gefunden – vielleicht sind unser König und seine Begleiter nur in Gefangenschaft geraten!«
Prinz Sandrilas’ Miene hellte sich keineswegs auf, obwohl ein paar der anderen Krieger diesen Gedanken für
Weitere Kostenlose Bücher