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Elben Drachen Schatten

Elben Drachen Schatten

Titel: Elben Drachen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Bekker
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Klangteppich, der selbst die Felsen erzittern ließ. In der grellen Flamme erschien ein Bild; es zeigte den Furchtbringer.
    Der Riesenkrebs tauchte aus dem dunklen Wasser des Schicksalssees auf. Es war deutlich zu sehen, dass die Schweren durch Keandirs Schwerthiebe verstümmelt waren. Ein schriller Laut drang aus der Fressöffnung der Kreatur. Sie veränderte sich, wechselte die Gestalt: Tentakel bildeten sich, mehrere Köpfe – drei, vier, fünf Köpfe ―, in deren Mäuler riesenhafte Zähne blitzten, und Wölbungen, bei denen noch nicht erkennbar war, zu was sie sich entwickeln würden. Bizarre Verwachsungen entstanden. Die Kreatur wurde zu einer Parodie des Lebens, eine Mischung aus Dutzenden von Geschöpfen, so schien es. Organe wucherten innerhalb von Augenblicken aus dem Körper heraus, krallenbewehrte Pranken, biegsame Tentakel und Säure verspritzende Rüssel entstanden. Aber sie alle bildeten sich immer nur für kurze Momente, ehe schließlich ein unförmiger Klumpen zurück in das dunkle Wasser tauchte. Dein Schwall von Gasblasen stieg an die Oberfläche.
    Die dunkle Flut des Schicksalssees schloss sich über der Kreatur. Ein fernes Stöhnen war zu hören, und die Flamme, die aus dem Topf geschossen war, fiel in sich zusammen. An der Höhlendecke blieb ein dunkler verrußter Fleck.
    Der Augenlose verharrte eine Weile lang völlig reglos. Er wirkte geschwächt. »Ihr habt den Furchtbringer schwer verwundet, König Keandir«, sagte er schließlich, und es klang beinahe anerkennend. »Einem Geschöpf Eurer Art hätte ich das nicht zugetraut.«
    »Es war die pure Verzweiflung, die mich dazu trieb«, entgegnete Keandir.
    Der Augenlose hob ruckartig den Kopf und wandte den Elbenkönig das Gesicht zu. Er verharrte so, und der Schein des Feuers zuckte über sein Antlitz. Auf der pergamentartigen Haut mäanderten unzählige Falten und Linien, über die unruhig Schatten tanzten. Und diese Linien entwickelten auf einmal eine Art hypnotischen Sog, dem sich Keandir nicht entziehen konnte. Er spürte den fremden Einfluss, der sich seines Bewusstseins bemächtigte, und es war ihm unmöglich, sich dagegen zu wehren.
    »Warum auch?«, hörte er die Geisterstimme des Augenlosen in seinem Kopf. Hatte der seine Gedanken etwa gelesen?
    Keandir meinte auf einmal, dass sich aus den Schattenlinien Bilder formten ― Bilder, die Keandir in ihrer Skizzenhaftigkeit an Höhlenzeichnungen erinnerten, wie es sie an manchen verwunschenen Orten der Alten Heimat gab. Keandir, der ein seegeborener Elb war, kannte sie, weil auch die Schamanen sie benutzten und als Zaubersymbole auf die Planken so manchen Elbenschiffs aufgetragen hatten. Die Originale in den Höhlen stammten – so sagten die Schamanen ― aus den so genannten Dunklen Zeitaltern, aus den Äonen also, in denen Tiere die Welt beherrscht hatten und die Kraft der Gedanken gerade erst erwacht war. Sie stellten Szenen aus einer archaischen Vergangenheit dar, die so lange zurücklag, dass es selbst das Vorstellungsvermögen der Elben sprengte.
    Immer gespenstischer tanzten die Schattenlinien auf der Haut des Augenlosen, in denen Keandir Zeichnungen und Umrisse zu erkennen glaubte ― die Umrisse von Wesen, deren Form so fremdartig war, dass kalte Schauder König Keandir durchrieselten.
    Der Augenlose Seher kicherte wieder auf die ihm eigene Art. Mochte er auch blind sein, Keandir zweifelte nicht daran, dass er mit den geheimnisvollen magischen Sinnen, die ihm offenkundig eigen waren, das Erschrecken des Elbenkönigs bemerkte. Ein Erschrecken, das tief verwurzelt war in der Furcht seines Volkes, dass sich ein ähnliches Zeitalter der Rohheit und der reuelosen Gewalt wiederholen könnte.
    »Ah, ich verstehe, was dich ängstigt«, sagte der Augenlose und lachte höhnisch, kalt und zynisch. War es möglich, dass ihn sein selbst für elbische Verhältnisse unvorstellbar langes Leben zu einem Wesen von so abgrundtiefer Boshaftigkeit gemacht hatte? Keandir überkamen Zweifel, ob er wirklich die Hilfe dieser Kreatur annehmen sollte.
    Vielleicht war der Tod durch Lebensüberdruss, wie er unter den Elben immer mehr grassierte, ein Schutz davor, so zu werden wie diese uralte Kreatur. Was Keandir bisher als einen Fluch angesehen hatte, war möglicherweise ein Segen für die Elben, der sie vor einer solchen Boshaftigkeit und derartigem Zynismus bewahrte.
    »Nun, das ist eine Frage des Blickwinkels, o König der ahnungslosen Narren«, erklärte der uralte Seher.
    »Ihr … Ihr lest meine

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