Elben Drachen Schatten
Branagorn war erleichtert über die Antwort der Königin, denn tatsächlich verspürte der Herzog von Elbara keinerlei Neigung, jemals wieder den Fuß auf jene Insel zu setzen, auf deren Boden er seinerzeit innerhalb weniger Tage mehr Schrecken erlebt hatte als in vielen langen Jahren danach, vom Tod Cherenwens einmal abgesehen.
»Ihr müsst mir von allem berichten, was es Neues aus Elbara gibt«, fuhr die Königin fort. »Zum Beispiel darüber, ob sich bei Euch die Elbaran und die Elbaraner noch immer so gut vertragen, oder ob es inzwischen Konflikte zwischen beiden Bevölkerungsgruppen gibt.«
»Nein, es ist erstaunlich friedlich«, erwiderte Branagorn. »Allerdings muss ich zugeben, dass es auch der ständige militärische Druck ist, den das Magolasische Reich von Süden her ausübt, der die Bewohner Elbaras, ob Elben oder Menschen, so sehr zusammenschweißt. Wollen sie weiter wie bisher in ihrem Land leben, sind sie gezwungen, jedwede Streitigkeiten zu unterbinden und zusammenzuhalten.«
Herzog Branagorn berichtet davon, wie immer wieder Truppen des Magolasischen Reichs in der Nähe von Cadd an Land gingen, dort hingeschafft von Schiffen aus den Südwestlanden und dem eroberten Soria. Außerdem wurde in den Werkstätten rings um Cadd Kampfmaschinen für eine Belagerung gebaut.
»Ihr wisst, dass ich das Königshaus Elbianas niemals im Stich lassen würde«, sagte Branagorn bei einem gemeinsamen Spaziergang, der ihn und Ruwen an den Zinnen des äußeren Burghofs entlangführte, von wo man das bunte Treiben in der Stadt beobachten konnte.
»Diesen Vorwurf kann Euch auch niemand ernsthaft machen, werter Herzog«, beteuerte Ruwen. »Wie kommt Ihr auf diesen absurden Gedanken?«
»Nun, eigentlich wollte ich die Angelegenheit mit Keandir besprechen, denn ich weiß, dass er Verständnis dafür hätte«, antwortete Branagorn ausweichend.
»Vielleicht unterschätzt Ihr mein Verständnis, Herzog«, sagte Ruwen. »Oder mache ich tatsächlich auf Euch einen über die Maßen gestrengen Eindruck?«
Branagorn schüttelte den Kopf. »Nein, gewiss nicht.« Er seufzte, und Ruwen spürte, dass auch die Seele des Herzogs gegenwärtig durch irgendeine schwere Last bedrückt wurde. Bisher hatte die Königin davon kaum etwas bemerkt, und sie führte dies darauf zurück, dass sie sich einfach zu sehr mit sich selbst und dem bohrenden Fragen beschäftigt hatte, die ihr im Augenblick durch den Kopf gingen. »So sagt frei heraus, was Ihr sagen möchtet, Herzog Branagorn.«
»Nun, ich will es nach einer so freundlichen Aufforderung gern tun«, sagte Branagorn. »Ich fürchte, dass ich amtsmüde geworden bin, und wollte den König bitten, mich in absehbarer Zeit von meinen Pflichten zu entbinden und einen Nachfolger für mich einzusetzen.«
»Oh«, sagte Ruwen zunächst nur. Mit vielem hatte sie gerechnet, aber nicht damit . Eine Weile lang schwieg sie, dann ergriff sie wieder das Wort: »Es gibt gewiss immer einmal Phasen der Schwäche oder extremer Nachdenklichkeit, in denen man geneigt ist, alles und jeden in Frage zu stellen. Ich selbst habe Vergleichbares auch schon durchlitten.«
»Es ist die Sehnsucht nach Cherenwen, die mich diesen Schritt ins Auge fassen lässt«, erklärte Branagorn. »Ich habe sie in all den Jahrhunderthälften, seit ihrem viel zu frühen Tod, nicht vergessen können. Und nie habe ich eine Gefährtin gefunden, die ich auf dieselbe Art und Weise und mit einer zumindest vergleichbaren Intensität hätte lieben können wie sie.«
»Das tut mir leid für Euch, Herzog Branagorn.«
»Das braucht es keineswegs«, sagte Branagorn. »Dass ich eine Liebe wie die zu Cherenwen erlebt habe, erfüllt mich mit tiefer Dankbarkeit.«
»Aber was hat das mit Eurem Herzogsamt zu tun?«, fragte Ruwen. »Ich verstehe es ehrlich gesagt nicht. Cherenwen ist ein Eldran geworden. Hat Euch etwa der Lebensüberdruss erfasst, und denkt Ihr daran, Euren Weg nach Eldrana ebenfalls viel zu früh anzutreten?«
Ein mattes Lächeln spielte kurz um Branagorns Lippen. Ein Lächeln, das mit Melancholie durchsetzt war und daher auch eine eher bittere Note hatte. »Nein«, sagte er, »an Lebensüberdruss bin ich ganz sicher nicht erkrankt, und ich denke auch nicht einmal im Traum daran, meinem Leben selbst ein Ende zu setzen. Aber ich habe vor, in das Elbenreich Estorien des Fürsten Bolandor überzusiedeln.«
»In das Reich der Geister, wie man es auch nennt«, murmelte Ruwen. »Ich verstehe: Ihr hofft, dass unter den Eldran, die man in
Weitere Kostenlose Bücher