Elben Drachen Schatten
wie sehr es die Königin bedrückte, schließlich hatte Ruwen noch immer nichts von ihrem Gemahl und seiner Expedition nach Naranduin gehört.
Ruwen bemerkte diese Peinlichkeit. Ihr Blick bekam jenen Ausdruck von Traurigkeit und Melancholie, den Nathranwen in letzter Zeit viel zu häufig bei ihr bemerkt hatte, allerdings bemühte sich Ruwen, diesem Eindruck mit einem Lächeln entgegenzuwirken. Einem Lächeln, das jedoch wie gefroren wirkte.
»Es ist schon gut, Nathranwen«, beschwichtigte sie. »Dass es noch immer keine Nachricht vom König gibt, soll kein Tabuthema an dieser Tafel sein, denn in Gedanken bin ich ohnehin fast die ganze Zeit bei ihm, auch wenn er im Moment nicht in der Lage zu sein scheint, dies zu bemerken.« Der Blick Ruwens schien für einige Augenblicke ins Nichts gerichtet, und selbst Branagorn, der hinsichtlich König Keandirs Naranduin-Fahrt eigentlich ein ganzes Bündel von Fragen gehabt hätte, beschloss, diese erst einmal zu verschieben, bis er vielleicht im Verlauf des Abends mit Admiral Ithrondyr unter vier Augen sprechen konnte.
Ein Ruck ging durch die Königin, und sie wandte sich erneut an Rhiagon, um dieses Thema wieder zu verlassen: »Berichtet uns darüber, wie Ihr Eure neuen Augen erworben habt, werter Hauptmann. Möglicherweise wäre ein solches Augen auch Prinz Sandrilas zu empfehlen, dem – wie die weise Nathranwen anmerkte – seit undenklichen Zeiten ein Auge fehlt.«
»Ich nehme an, dass sich Prinz Sandrilas an den Verlust seines Auges längst gewöhnt hat«, äußerte Admiral Ithrondyr. »Schließlich wurde ihm diese schreckliche Wunde noch in der Alten Heimat Athranor beigebracht.«
»Nein, da möchte ich Euch ganz entschieden widersprechen, werter Admiral«, erklärte Rhiagon in einem Tonfall, der an der Grenze der Gereiztheit lag. Man spürte, wie sehr den Hauptmann die Worte Ithrondyrs innerlich aufwühlten. »An so etwas kann man sich nie gewöhnen, und ich weiß auch von Siranodir mit den zwei Schwertern, dass er sich bis heute nicht wirklich damit abfinden konnte, taub wie ein Rhagar zu sein. Daher kann ich mir auch nicht vorstellen, dass Prinz Sandrilas es inzwischen als normal empfindet, mit einem Auge auskommen zu müssen, mag auch noch so viel Zeit seit seinem Verlust vergangen sein.«
Admiral Ithrondyr erkannte, dass er bei Rhiagon einen sensiblen Punkt berührt hatte. Um die Situation nicht weiter zu komplizieren, schwieg er.
Branagorn jedoch wiederholte den Wunsch der Königin, von Rhiagon mehr über die Herkunft seiner neuen Augen zu erfahren.
»Ich bekam sie von einem Händler namens Zerolas, der aus Nordbergen stammt«, berichtete Rhiagon.
»Hier auf dem Markt von Elbenhaven?«, fragte Branagorn.
»So ist es. Er sprach mich an und erklärte, dass es sich bei den Augen um das Werk eines begabten Erfinders aus Berghaven handle, dessen Talent an jenes von Thamandor heranreichen würde.«
»Hat er den Namen dieses Erfinders genannt?«, hakte Branagorn nach. »Denn wenn dieser Erfinder solch ein Genius ist, dann müsste sein Name doch bekannt sein.«
»Vielleicht hat der Händler ihn genannt, vielleicht auch nicht. Ich erinnere mich nicht mehr so genau, und Ihr mögt es mir zugute halten, dass ich einfach zu sehr davon überwältigt war, mein Augenlicht wiederzuhaben, als dass ich mich noch besonders für den Namen des Erfinders interessiert hätte.«
»Nordbergen ist fern und sehr unwegsam«, sagte Nathranwen. »Es könnte schon sein, dass man hier noch nie etwas von diesem Erfinder aus dem Land von Herzog Isidorn gehört hat. Erzählt uns mehr – wie kommt Ihr mit den Augen zurecht, werter Rhiagon?«
»Ich gebe zu, dass ich mich erst an sie gewöhnen musste. Aber inzwischen scheinen sie mir ebenso Teil meines Körpers zu sein wie meine Arme und Beine. Die Augen haben sich perfekt eingepasst, und ich denke manchmal, dass sie schon immer Bestandteil meines Kopfes waren, obwohl mir natürlich bewusst ist, dass das nicht stimmt.«
In der folgenden Zeit wuchs die Sorge Ruwens ins Unermessliche, und sie überredete schließlich Admiral Ithrondyr, mit einem Schiff nach Naranduin zu segeln, um nach dem Schicksal des Königs zu forschen und eventuell eine Botschaft von ihm zurück nach Elbenhaven zu bringen.
Branagorn bot an, den Admiral zu begleiten, doch Ruwen antwortete auf sein Angebot: »Eine lange Seereise von Elbara hierher liegt hinter Euch, und da wäre es unzumutbar, Euch gleich noch einmal in See stechen zu lassen.«
Zumindest ein Teil von
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