Elben Drachen Schatten
die ich geschildert habe, je erreichen werden, ist fraglich.«
Garanthor, der Kapitän des königlichen Flaggschiffs, war in dieser Hinsicht weitaus optimistischer. »Es müsste doch möglich sein, dieses Hindernis mit Hilfe von Magie zu beseitigen«, glaubte er. »Schließlich gibt es kein Volk, das in den Künsten der Zauberei und der Beschwörung der Elementargeister so bewandert ist wie das unsere.«
Die meisten anderen stimmten dem zu. Gerade die Seegeborenen wollten wohl auch glauben, dass da ein ganzer Kontinent nur darauf wartete, von ihnen in Besitz genommen zu werden.
Ruwen teilte diese Zuversicht nicht.
Aber im Augenblick war sie nicht in der Lage, ihren Zweifeln Ausdruck zu verleihen. Tiefe Schwermut hatte ihre Seele ergriffen. Sie wurde von der Sorge um ihren geliebten Mann geplagt. Keandir war noch immer nicht zurück, und auch von Prinz Sandrilas, der ihm mit einem fünfzig Mann starken Trupp suchte, hatte man nichts mehr gehört.
Offenbar waren sie tief ins Landesinnere der Nebelinsel vorgedrungen, sonst hätte man hin und wieder den leisen Klang ihrer Stimmen gehört oder andere Zeichen ihrer Anwesenheit vernommen. Aber nichts dergleichen konnte Ruwen wahrnehmen, so sehr sie auch ihre feinen Sinne öffnete.
Sie hatte kaum geschlafen, seit der König die »Tharnawn« verlassen hatte. Wach hatte sie im Bett gelegen, und immer wieder hatten ihre Hände den Weg zu ihrem Bauch gefunden, in dem neues Leben heranwuchs. Wie das Fanal einer glücklichen Zukunft für das Elbenvolk hatte dies neue Leben in ihr zunächst auf sie gewirkt. Inzwischen waren längst andere Gefühle übermächtig geworden, vor allem Furcht und Verzweiflung. Sie fragte sich, was geschehen würde, wenn Keandir nicht zurückkehrte. Die Elben verloren dann nicht nur ihren König, sondern auch den Träger all ihrer Hoffnungen. Der Kronrat würde über einen Nachfolger entscheiden müssen, noch bevor ein Kind Keandirs das Licht der Welt erblickte.
Sie hörte den Gesprächen der Männer und Ithrondyrs weiteren Schilderungen zu, aber sie erschienen ihr auf seine seltsame Weise unwirklich. Wie Stimmen aus einer anderen Zeit. Das Echo einer anderen Wirklichkeit, die mit dem, was die Königin tatsächlich erlebte, nicht das Geringste zu tun zu haben schien.
Sie ging ein paar Schritte an der Reling entlang. Niemand sprach sie an. Man respektierte ihre Zurückgezogenheit, denn jeder konnte sich ausmalen, wie es in der Elbenkönigin aussah.
»Ihr dürft nicht in düstere Gedanken versinken«, hörte sie hinter sich eine Stimme sagen. Es war Nathranwen, die Heilerin. Sie beobachtete mit Sorge die gemütsmäßige Veränderung, die mit Ruwen vor sich ging. »Ihr habt Grund zur Freude und zur Zuversicht.«
»Wenn ich wüsste, dass mein geliebter Kean sicher und wohlbehalten zu mir zurückkehrte – dann ja«, flüsterte Ruwen. »Dann wäre es mir auch gleichgültig, ob wir dazu verdammt wären, auf ewig mit unseren Schiffen die See zu durchpflügen und uns in richtungslosen Nebelmeeren zu verirren oder ob es hier die Hoffnung auf ein neues Elbenreich gibt, so wie viele es meinen.«
»Nein, in keinem Fall sollte Euch dies gleichgültig sein, Ruwen. Auch dann nicht, wenn König Keandir nicht zu Euch zurückkehren sollte.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob dann noch irgendetwas eine Bedeutung für mich hätte.«
»Und das ungeborene Leben, das Ihr unter dem Herzen tragt?«
Tränen glitzerten in Ruwens Augen. »Ich habe meine Zweifel, ob ich genug Kraft dafür hätte. Nicht, um es zur Welt zu bringen, sondern um …« Sie sprach nicht weiter. Ihr Blick glitt in die Ferne und verlor sich in den wieder dichter werdenden Nebelschwaden. »Ich weiß nicht, ob ich die Kraft hätte, einem Elbenkind zu vermitteln, welchen Sinn seine Existenz hat, wenn doch alles im Lebensüberdruss endet.«
»Mir scheint, Ihr droht selbst, dieser üblen Krankheit zu verfallen, die um sich greift wie eine Seuche«, sagte Nathranwen. »Angesichts Eures Zustands verwundert mich dies.«
»Das, was Ihr meinen Zustand nennt, ist vielleicht nichts weiter als das kurze Aufflackern einer längst erloschenen Hoffnung.«
»Umso wichtiger ist es, dass wir die Seereise nicht länger fortsetzen und diese blühende Küste erreichen, von der Kapitän Ithrondyr spricht. Nur dann sehe ich eine Zukunft.«
»Da mögt Ihr recht haben«, gestand Ruwen. »Seht Ihr die Frau auf der anderen Seite des Schiffes? Das ist Cherenwen. Sie starrt schon seit Stunden in den Nebel und redet bereits
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