Elbenkinder - Die ganze Saga (1-7)
ungläubig an, so als könnte sie es kaum fassen, sich in ihrem Gemach auf Burg Elbenhaven zu befinden.
Nathranwen nahm ihre Hand. Sie war eiskalt.
„Daron!“, sandte das Elbenmädchen einen Gedanken an ihren Zwillingsbruder und wunderte sich einen Moment lang, dass dieser ihr nicht antwortete. „Daron!“, wiederholte sie seinen Namen laut, denn sprach man einen Gedanken aus, wurde er dadurch intensiver und stärker, ohne dass man mehr innere Kraft dafür aufwenden musste.
„Er ist nicht hier.“
„Wo ist er?“
„In Nithrandor. Er bringt Thamandor mit seinen Flammenspeeren dorthin, weil ...“
„... die Stadt angegriffen wird!“, schloss Sarwen.
Nathranwen nickte. „Ja, so ist es.“
„Ich habe gesehen, was geschehen ist ... Und im ersten Moment, als ich erwachte, dachte auch ich, dass wäre nur ein Traum. Aber das war es nicht. Ich sah Rarax herabstürzen ... Und da war eine Feuerwand ...“ Sie schüttelte den Kopf, kniff einen Moment lang die Augen zusammen, so als würde sie sich in besonderer Weise anstrengen müssen und schüttelte schließlich erneut den Kopf. „Es entschwindet mir alles. Gerade konnte ich mich noch an jede Einzelheit erinnern, aber jetzt weiß ich nur, dass da etwas war. Aber was?“ Sie zuckte mit den Schultern und sah Nathranwen an. „Meine Gedanken erreichen ihn im Moment nicht.“
„Du bist noch schwach. Das wird sich wieder ändern.“
„Bist du sicher?“
Nathranwen antwortete nicht sofort, und das war für Sarwen Beleg genug, dass ihre Lage ernster war, als die Heilerin zugeben wollte. Konnte es sein, dass sie nicht nur einfach erschöpft war, wie es ihr schon öfter widerfahren war? War es möglich, dass aufgrund ihres Erlebnisses auf dem Nebelberg eine tiefgehende Veränderung mit ihr vor sich ging?
Geschwächt, dachte sie. Du kannst es ruhig in aller Deutlichkeit sagen, Nathranwen. Es ist immer besser, der Wahrheit ins Auge zu blicken, wie erschreckend sie auch sein mag: Meine Kräfte sind fort! Ich kann sie nicht mehr spüren. Nicht einmal einen kleinen Rest dieser dunklen Kraft, die von klein auf in Daron und mir so stark war ...
„Worüber denkst du nach?“, fragte Nathranwen.
Sarwen schluckte. Es war so ungewohnt, dass niemand da war, der ihre Gedanken teilte.
Warum fragst du sie nicht?, ging es ihr durch den Sinn. Sie kennt dich seit deiner Geburt. Wer stünde dir denn näher, von Daron einmal abgesehen?
Sarwen atmete tief durch, dann sagte sie: „Es ist so schwer.“
„Schwer?“
„Sagen zu müssen, was einen bewegt. Daron gegenüber brauchte ich nie etwas zu erklären.“
„Ja, ihr wart immer ein Herz und eine Seele.“
„Nein, wir haben uns sogar häufig gestritten, aber es hat niemand mitgekommen, weil wir unsere Streitigkeiten nie laut austragen mussten.“
„Daron wird sicher so bald wie möglich zurückkehren, und dann wird es wieder so sein wie zuvor.“
„Nein.“ Sarwen schüttelte ganz langsam den Kopf, und Tränen liefen ihr übers Gesicht. „Es wird nie wieder so sein wie zuvor.“
Nathranwen war erschrocken. „Was meinst du damit?“
„Die dunkle Kraft ... Sie ist nicht mehr da. Ich spüre nichts mehr! Nicht mal ein bisschen davon! Dass Daron meine Gedanken nicht empfängt, liegt nicht nur daran, dass ich momentan zu schwach oder dass die Entfernung bis Nithrandor zu groß wäre ... Es liegt einfach daran, dass ich es nicht mehr kann, Nathranwen!“
Die letzten Worte schrie sie regelrecht.
Danach herrschte einige Augenblicke lang Schweigen. Unter Elben war es nicht üblich, immer sofort etwas auf das Gesagte des Gesprächspartners zu erwidern. Man wartete, bis man sich seine Antwort wirklich gut überlegt hatte. Elben lebten sehr lang, deshalb war ihnen die Hast fremd, die das kurze Dasein der Menschen und selbst der Zentauren bestimmte.
Dennoch erschien Sarwen die Zeit, bis Nathranwen endlich antwortete, unverhältnismäßig lang. Vielleicht lag es daran, dass ihre Mutter eine Menschenfrau gewesen war, sodass die Hektik und Hast der Menschen in ihren ersten Lebensjahren auf sie abgefärbt hatte.
„Du hast doch geträumt, was Daron geschehen ist“, stellte Nathranwen schließlich mit besonnenem Tonfall fest.
„Das ist richtig.“
„Wären deine Kräfte völlig erloschen, wäre das nicht möglich, richtig?“
„Aber vielleicht war das, was ich träumte, tatsächlich einfach nur ein Traum war und mehr nicht.“
„Ich glaube, tief in deiner Seele kennst du die Antwort, Sarwen. Ich bin davon überzeugt,
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