Elbenschswert
Braiden.
Ich bin sogar schon einmal gestorben, dachte Lancelot
bitter. Dennoch schüttelte er den Kopf und erwiderte:
»Nein. Nicht so.«
»So?«
»So völlig überflüssig und dumm«, murmelte Lancelot.
»Ich könnte mich ohrfeigen – am besten mit der linken
Hand, damit es besonders wehtut.«
»Wie ist es passiert?«, erkundigte sich Braiden.
»Ich habe ein Schwert zur Seite geschlagen«, antwortete
Lancelot ehrlich. »Und vergessen, dass ich keinen Handschuh anhatte.«
Braiden nickte. »Das ist dumm«, sagte er ernst. »Aber
hättet Ihr es nicht getan, wo hätte Euch das Schwert dann
getroffen?«
Darauf schwieg Lancelot und Sir Braiden nickte erneut,
als kenne er die Antwort ganz genau. »Ihr habt Euch auf
Eure Instinkte verlassen und jetzt seid Ihr wütend auf
Euch selbst, weil Ihr Schmerzen habt. Aber vermutlich
haben diese Instinkte Euch das Leben gerettet.«
»Vielleicht reichen Instinkte manchmal nicht«, sagte
Lancelot.
Braiden lächelte. »Glaubt mir, Lancelot – sie sind meistens alles, was zwischen uns und dem Tod steht.« Er
schwieg einige Augenblicke, in denen er Lancelot sehr
nachdenklich ansah, dann fragte er: »Ihr seid noch nicht
lange Ritter, habe ich Recht?«
Lancelot sah irritiert auf. »Woher –?«, entfuhr es ihm,
bevor er sich auf die Lippen beißen und den Rest der Worte verschlucken konnte.
»So schwer ist das nicht zu erkennen«, beantwortete
Braiden seine nicht ganz ausgesprochene Frage. »Aber
macht Euch keine Sorgen. Ich glaube nicht, dass es außer
mir jemandem aufgefallen ist.«
»Wieso?«, fragte Lancelot. Er versuchte nicht zu leugnen. Es hätte sowieso keinen Zweck gehabt und er hatte
das Gefühl, den älteren Ritter damit nur zu beleidigen.
»Ich habe so viele Ritter kommen und gehen sehen,
Lancelot«, antwortete Braiden. »Ich bin alt. Fragt mich
nicht, wie alt. Ich habe die Jahre nicht gezählt und es interessiert mich auch nicht, aber ich hatte meine besten
Jahre schon hinter mir, als ich nach Camelot kam. Ich habe nie damit gerechnet, so lange zu leben. Um ehrlich zu
sein, ich habe mir immer gewünscht auf dem Schlachtfeld
zu sterben. Aber damit wird es jetzt wohl nichts mehr«,
fügte er mit einem bitteren Lächeln und einem Blick auf
den Stumpf seines rechten Armes hinzu.
»Redet nicht einen solchen Unsinn«, antwortete Lancelot. »Ich habe gesehen, wie Ihr das Schwert mit der Linken
führt. Die wenigsten Männer beherrschen es so gut mit der
rechten Hand.«
»Das mag sein«, sagte Braiden, schüttelte aber trotzdem
den Kopf. »Ich bin immer noch gut. Aber gut zu sein
reicht an Artus’ Tafel nicht. Wir sind die Besten. Die besten der Besten und wir müssen es sein.« Er lächelte erneut und diesmal wirkte es mehr als nur ein wenig bitter.
»Wenn ich nicht wegen meines Alters so eine Art Unikum
bei Hofe wäre und wenn Artus im Moment nicht jedes
Schwert so dringend brauchte wie niemals zuvor, dann
hätte er mir längst irgendwo ein kleines Schloss oder ein
Landgut zum Geschenk gemacht und mich aufs Altenteil
geschoben.«
Und was wäre so schlimm daran?, dachte Lancelot. Er
wusste mit vollkommener Sicherheit, dass Braiden Recht
hatte – in dem Kampf, der unzweifelhaft vor ihnen lag,
würde es nicht reichen, gut zu sein. Von allen Rittern auf
Camelot hatte Braiden vermutlich die geringsten Chancen,
den bevorstehenden Krieg mit den Pikten zu überleben.
»Wie alt seid Ihr, Lancelot?«, fragte Braiden.
Lancelot hob die Schultern. »Da geht es mir so ähnlich
wie Euch, Sir Braiden«, sagte er. »Ich habe die Jahre nie
gezählt.«
Braiden nickte. »Ihr wollt es mir nicht sagen«, vermutete
er. »Aber gut. Es spielt auch keine Rolle. Ich kenne Eure
Geschichte.«
»Woher?«, fragte Lancelot unsicher. Ein sonderbares
Gefühl beschlich ihn.
»Weil ich sie schon so oft erlebt habe«, behauptete Braiden. Seine Stimme klang plötzlich beinahe traurig. »Ihr
seid der Sohn irgendeines Edelmannes oder Ritters aus
einem weit entfernten Land. Nicht so weit, dass man dort
noch nichts von Camelot und König Artus und seinen Tafelrittern gewusst hätte, aber weit genug, dass noch niemand hier etwas von Euch gehört hat.
Nicht der älteste Sohn. Nicht der Erbe. Ihr seid der, dem
das Schicksal übel mitgespielt hat, denn er hat nichts zu
erwarten, als als Zweit- oder Drittgeborener im Schatten
seines älteren Bruders aufzuwachsen, der das Vermögen
und das Reich erben wird, und Ihr seid ganz besonders
zornig auf das Schicksal, weil Ihr Euch für
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