Elbenschswert
Wäre dieser tatsächlich ein Eindringling
gewesen, dann wäre es in diesem Moment um den Mann
geschehen gewesen. Lancelot verschwendete jedoch keinen Gedanken daran, sondern stürmte auf die Treppe zu
und rannte die ausgetretenen Steinstufen hinauf. Erst als er
die Etage erreichte, in dem sein (und Gwinneths) Gemach
lag, wurde er etwas langsamer und legte die letzten Schritte in normalem Tempo zurück. Vor der Tür blieb er noch
einen Augenblick stehen, damit sich sein Atem einigermaßen beruhigen konnte.
Er klopfte.
Er bekam keine Antwort, zählte in Gedanken langsam
bis fünf und klopfte noch einmal und lauter.
Auch diesmal antwortete niemand. Lancelot ließ noch
einige Augenblicke verstreichen, dann drückte er die
Klinke hinunter und schob die Tür langsam auf.
»Lady Gwinneth?«
Die einzige Antwort war das leise Echo seiner eigenen
Stimme, und noch bevor er die Tür ganz geöffnet hatte
und eingetreten war, spürte er, dass der Raum dahinter leer
war.
Aber das war nicht alles. Er war nicht nur leer .
Er war verlassen.
Das große Zimmer, in dem er das letzte Mal gewesen
war um Sir Galahad an seinem Krankenlager zu besuchen,
war dunkel und still. Nichts rührte sich und es war eine
Stille von der Art, die Lancelot spüren ließ, dass sie nicht
neu war. Dieser Raum war nicht einfach nur im Moment
verlassen. Es war ein Zimmer, in dem niemand mehr lebte,
und man fühlte es.
Verwirrt und von einem wachsenden Gefühl von Beunruhigung gequält, trat Lancelot gänzlich durch die Tür und
blieb in der Mitte des Zimmers stehen um sich umzublikken. Er war weniger als eine Woche fort gewesen und es
war eigentlich unmöglich – aber er sah Staub auf den Möbeln und die Luft roch trotz der großen und weit offen
stehenden Fenster kalt und tot; wie die Luft in einem
Zimmer eben riecht, in dem keine Menschen mehr leben.
Zögernd ging er weiter und trat an das riesige geschnitzte Bett. Die Laken waren unordentlich und er sah dunkle,
bräunlich verschmierte Flecken darauf; Galahads Blut, das
vor einer Woche dort eingetrocknet war. Der Tafelritter
selbst war nicht hier. Vielleicht war er tot.
Aber auch Gwinneth war nicht hier.
Lancelot hätte nicht sagen können, wie lange er dastand
und das leere und blutbesudelte Bett anstarrte, als er hinter
sich ein Scharren und dann ein übertriebenes Räuspern
hörte. Langsam drehte er sich herum und ein Schatten
huschte über sein Gesicht, als er Sir Mandrake erkannte,
der hoch aufgerichtet unter der geöffneten Tür stand und
ihn finster anstarrte.
»Ich wusste, dass ich Euch hier antreffen werde«, sagte
der Ritter. Er machte sich nicht einmal die Mühe, sich mit
einer Begrüßung oder irgendeiner Höflichkeitsfloskel aufzuhalten. Die Feindseligkeit in seiner Stimme war unüberhörbar.
»So?«, fragte Lancelot, ganz bewusst ebenso unfreundlich und herausfordernd wie Mandrake.
»Ihr seid ein Ritter, wie ihn sich jeder König nur wünschen kann«, antwortete Mandrake und verzog das Gesicht. »Eure allererste Sorge gilt der Königin, nicht wahr?
Ich bin sicher, Artus ist stolz auf Euch.«
»Meine allererste Sorge galt Sir Galahad«, verbesserte
ihn Lancelot. Mandrake verzog nur das Gesicht und machte sich nicht einmal die Mühe, darauf zu antworten.
»Falls Ihr die Königin sucht, Sir Lancelot –« Allein die
Art, auf die er das Wort Sir aussprach, machte es zu einer
Beleidigung. »– sie lebt nicht mehr hier, sondern in Artus’
Gemächern. Falls Ihr den Weg nicht wisst, kann ich Euch
hinführen – nur für den Fall, dass Euch die Sorge um sie
das Herz bricht.«
Lancelots Hand senkte sich auf den Schwertgriff. Die
Bewegung war nicht bewusst und er spürte, wie die Klinge
unter seiner Hand aufschrie, für einen Moment in einer
Gier explodierte, der er kaum widerstehen konnte. Nur mit
großer Anstrengung gelang es ihm, seine Finger wieder zu
spreizen und die Hand zurückzuziehen. Mandrakes Blick
folgte seiner Bewegung. Er sagte nichts, aber in seinen
Augen erschien ein triumphierender Ausdruck. Lancelot
fühlte sich hilflos. Verwirrt. Was immer er tat, es schien
falsch zu sein.
»Artus’ Gemächer?«, murmelte er.
Mandrake lachte. Es klang hässlich. »Ich dachte mir,
dass Euch das überrascht«, fuhr er höhnisch fort. »Artus
und Gwinneth haben geheiratet. Wusstet Ihr das nicht?«
Lancelot starrte ihn an. »Geheiratet?«
Mandrake nickte. »Am Tag nach Eurer Abreise«, sagte
er. Er gab sich jetzt keine Mühe mehr, den Triumph zu
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