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Elbenschswert

Titel: Elbenschswert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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er nach dem silberfarbenen Verschluss seines Waffengurtes, löste ihn und reichte Parzifal die Klinge
samt Scheide und Gürtel. Parzifal schloss die linke Hand
um die Scheide aus feinem weißen Leder, ergriff den
Schwertgriff mit der rechten und versuchte die Waffe zu
ziehen.
Es gelang ihm nicht.
Im allerersten Moment glaubte Lancelot, dass er irgendetwas gespürt hätte, vielleicht den gleichen verlockenden
Blutdurst, den auch er jedes Mal empfand, wenn er den
Schwertgriff berührte, aber dann wurde ihm klar, dass
Parzifal die Klinge aus einem viel einfacheren Grund nicht
zog. Er konnte es nicht.
Parzifal runzelte die Stirn und stieß ein überraschtes
Grunzen aus. Lancelot konnte sehen, wie sich die Muskeln
an seinem Hals spannten, als er noch einmal und diesmal
mit aller Gewalt versuchte das Schwert aus der Scheide zu
ziehen, aber die Elbenklinge rührte sich keinen Fingerbreit.
»Das ist seltsam«, murmelte Parzifal.
»Lasst es mich versuchen«, bat Braiden. Zu Lancelots
Beunruhigung sah er dabei ihn an und nicht Parzifal, aber
noch bevor er etwas sagen konnte, hielt Parzifal ihm das
Schwer hin und Braidens linke Hand schloss sich um den
lederbezogenen Griff.
Es gelang ihm so wenig wie Parzifal zuvor, die Klinge
aus der Scheide zu ziehen.
»Heute ist anscheinend der Tag der Zeichen und Wunder«, sagte Lancelot in dem vergeblichen Versuch, die
Situation mit einem Scherz zu entspannen. Rasch riss er
Parzifal das Schwert aus der Hand, schloss die Rechte um
den Griff und machte eine Folge schneller Bewegungen
mit Zeige- und Mittelfinger. Ohne den geringsten Widerstand glitt die Klinge aus der Scheide.
»Es ist ein Trick dabei«, behauptete er. »Der Schmied,
der die Waffe angefertigt hat, hat gemeint, außer mir könne sie niemand ziehen. Ich habe ihm bisher nicht geglaubt,
aber anscheinend habe ich dem guten Mann unrecht getan.«
Parzifal ließ einen Augenblick verstreichen und lachte
dann leise und völlig unecht, während Braiden ihn einfach
nur anstarrte.
    Erst am frühen Abend des übernächsten Tages kehrten sie
nach Camelot zurück. Sie hatten die Nacht in dem verlassenen Dorf zugebracht und noch einen gut Teil des nächsten Vormittages dazu gebraucht, den Kadaver der Bestie
zu vergraben und den Jungen bis zu einer Stelle zu begleiten, von wo aus er allein weitergehen konnte. Lancelot
war nicht wohl bei dem Gedanken gewesen, Landon einfach seinem Schicksal zu überlassen, und obwohl keiner
von ihnen es ausgesprochen hatte, Braiden und Parzifal
wohl ebenso wenig. Aber das Ungeheuer war tot und
schließlich war der Junge in diesen Wäldern aufgewachsen und kannte sich hier ungleich besser aus als sie. Wenn
seine Familie noch lebte, dann würde er sie finden, und
wenn nicht, dann war er hier trotzdem vermutlich immer
noch besser aufgehoben als an jedem anderen Ort, zu dem
sie ihn mitnehmen konnten.
    Auf halbem Wege zurück nach Camelot waren sie auf
einen der Soldaten gestoßen, die sie in alle Himmelsrichtungen ausgeschickt hatten, um nach Spuren von Marcus
dem Einäugigen zu suchen. Der Mann war das schlechte
Gewissen in Person gewesen, sodass Lancelot trotz all
seiner gegenteiligen Versicherungen recht rasch klar geworden war, dass er keineswegs nach dem Hehler gesucht,
sondern sich nach einer angemessenen Wartefrist sofort
auf den Rückweg nach Camelot gemacht hatte. Er konnte
es dem Soldaten nicht verdenken. Das Land lag im Krieg,
und auch wenn die äußeren Anzeichen sich noch hinter
der Maske der scheinbaren Normalität verbargen, so hatte
Lancelot doch längst begriffen, dass das Königreich mit
jedem Tag, ja, mit jeder Stunde mehr in Chaos und Gewalt
versank. Kurz vor Sonnenuntergang, am ersten Tag ihres
Rückweges, hatten sie die Lichter eines Hofes oder auch
einer kleinen Siedlung im Westen gesehen, aber keiner
von ihnen hatte auch nur den Vorschlag gemacht, die
Nacht dort zu verbringen. Sie wussten, dass sie nicht mehr
gern gesehen waren. Artus war vielleicht der mildtätigste
und mit Sicherheit der gerechteste König, den das Land
jemals gehabt hatte, aber es herrschte Krieg und die einfachen Menschen forderten nun den Schutz ein, für den sie
und ihre Vorfahren mit ihrem Leben und ihrer Arbeitskraft
bezahlt hatten und den weder Artus noch all seine unbesiegbaren Tafelritter ihnen bisher gewährt hatten.

So umgingen sie alle menschlichen Ansiedlungen und
näherten sich Camelot kurz vor Sonnenuntergang; fünf
Tage nachdem sie es verlassen

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