Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Elbenschswert

Titel: Elbenschswert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:

sah unendlich müde und erschöpft aus und Lancelot spürte
einen dünnen, aber tief gehenden Stich in der Brust, als er
in ihrem Blick noch immer dieselbe Furcht las wie vorhin.
Er ging jedoch nicht darauf ein, sondern deutete mit der
rechten Hand auf die Lichter am Horizont und sagte:
»Dort drüben sind Menschen. Aber wir werden sicher
noch zwei Stunden brauchen, um sie zu erreichen, wenn
nicht länger. Wenn du möchtest, rasten wir hier einen
Moment.«
Gwinneth nickte ganz schwach und Lancelot wendete
das Einhorn, ließ es zum Waldrand zurücktraben und glitt
mit einer schwerfälligen Bewegung aus dem Sattel.
Als er Gwinneth beim Absteigen half, wären sie beinahe
gemeinsam gestürzt, so kraftlos war er. Gwinneth war
taktvoll genug, so zu tun, als hätte sie es nicht gemerkt,
streifte seine Hand ab und ging mit unsicheren Schritten
zu einem Baum, vor dem sie sich niederließ und Hinterkopf und Schultern gegen die raue Rinde lehnte.
Sie schloss die Augen. Ihre Hände bebten vor Erschöpfung und ihr Atem ging so schnell, als wäre sie die ganze
Strecke bis hierher gerannt, statt auf dem Rücken des Einhorns zu reiten.
Auch Lancelot fühlte sich nicht viel besser. Lange sah er
schweigend auf die mit geschlossenen Augen dasitzende
Gwinneth hinab, dann entfernte er sich ein halbes Dutzend
Schritte und ließ sich auf dieselbe Weise wie sie an einem
Baumstamm niedersinken. Seine Glieder fühlten sich
plötzlich an, als wären sie mit flüssigem Blei gefüllt und
er musste mit aller Macht gegen den Schlaf ankämpfen,
der einen dunklen Vorhang über seine Gedanken auszubreiten versuchte.
»Du brauchst dich nicht vor mir zu verstecken«, drang
Gwinneths Stimme in seine Gedanken. »Ich weiß, wer du
bist.«
Lancelot riss überrascht die Augen auf und sah in ihre
Richtung. Gwinneth schlief nicht. Sie hatte sich wieder ein
wenig aufgesetzt und blickte ihn an.
»Wie meinst du das?«, fragte er. Gwinneth schüttelte
müde den Kopf. »Warum hast du es mir nicht gesagt?«
»Was?«
»Ich weiß, wer du bist«, sagte Gwinneth noch einmal.
Als sie weitersprach, begleitete etwas wie ein bitteres Lachen ihre Worte. »Wie konnte ich es nur nicht merken?
Der Runenschild hatte alle getäuscht, selbst Artus und
sogar mich. Ausgerechnet mich !«
»Ich verstehe wirklich nicht, wovon du redest«, murmelte Lancelot. Er kam sich selbst dabei lächerlich vor.
Natürlich verstand er sie. »Artus hat mich also belogen«,
murmelte Gwinneth bitter. »Er hat uns alle belogen. Aber
ich hätte es merken müssen. Ich habe es gemerkt. Ich habe
es die ganze Zeit über gewusst, aber ich wollte es einfach
nicht wahrhaben. Dulac. Dulac, der Küchenjunge.«
Es hatte keinen Sinn mehr, zu leugnen. Gwinneth hatte
ihn oben im Thronsaal Malagons erkannt. Deshalb also
auch der maßlose Schrecken in ihren Augen und der Zorn,
dachte er bitter.
»Und nun?«, fragte er. »Verachtest du mich jetzt? Und
wenn ja, warum? Weil ich dir nicht die Wahrheit gesagt
habe oder weil ich nur ein Küchenjunge bin, der sich angemaßt hat eine Königin zu lieben?«
Gwinneth sah ihn traurig an, dann fragte sie ganz leise:
»Was habe ich dir getan, dass du mich so verletzt?«
Lancelot schwieg. Er schämte sich seiner Worte, denn er
hatte in dem Moment, in dem er sie aussprach, gespürt,
dass sie so weit von der Wahrheit entfernt waren, wie es
nur ging. Aber er wusste einfach nicht, was er sagen sollte.
Noch nie zuvor war er sich so hilflos und allein gelassen
vorgekommen wie in diesem Moment.
»Weiß Artus davon?«, fragte Gwinneth, nachdem eine
kleine Ewigkeit verstrichen war.
»Dass ich Dulac bin?« Lancelot schüttelte den Kopf.
Gleich darauf hob er die rechte Hand und berührte die
kaum sichtbare Narbe an seinem Ohr. »Dass ich anders
bin? Ja.«
»Und dennoch hat er mich zu deinem Grab geführt«,
sagte Gwinneth. »Mich und alle anderen. Warum hat er
uns belogen?«
Weil er mich umgebracht hat, dachte Lancelot. Weil er
tief in sich gespürt hat, welche Gefahr der kleine Küchenjunge eines Tages für ihn bedeuten könnte. Laut sagte er:
»Er hat mich wohl wirklich für tot gehalten. Ich selbst war
sicher, dass ich sterben würde, als ich Camelot verließ.
Vielleicht wollte er nur die Erinnerung an mich aufrechterhalten, selbst wenn sie aus einem leeren Grab und einem
Stein ohne Inschrift besteht.«
»Du verteidigst ihn immer noch«, sagte Gwinneth.
»Warum?«
Weil er mein König ist, dachte Lancelot. Er sprach auch
das nicht aus.

Weitere Kostenlose Bücher