Elbenschswert
Gwinneth hätte es nicht verstanden.
»Dieses Grab ist vielleicht leer, aber es ist nicht sinnlos«,
sagte er. »Du hast mich vorhin bei meinem Namen genannt, aber das war falsch. Dulac ist tot.« Und vielleicht
hatte es ihn nie wirklich gegeben.
Gwinneth stand auf, kam mit kleinen schleppenden
Schritten näher und ließ sich dann neben ihm zu Boden
sinken. Eine Weile saß sie etwas entfernt von ihm da und
ihr Körper zitterte vor Kälte wie Espenlaub. Lancelot
streckte den Arm aus und legte ihn um ihre Schultern. Für
einen Moment versteifte sich Gwinneth, als hätte sie
Angst vor der Berührung, dann aber rutschte sie ein Stück
näher und schmiegte sich an ihn. Sie zitterte so stark, dass
er es selbst durch das Metall der Rüstung hindurch spüren
konnte.
»Warum hast du es mir nicht gesagt?«, fragte sie.
Lancelot nahm all seinen Mut zusammen. »Was?«, fragte er. »Dass ich dich liebe? Ich? Ein einfacher Küchenjunge, der mehr Schläge als zu essen bekommt und bei Hofe
nur geduldet ist?« Er schüttelte heftig den Kopf. »Du hättest mich ausgelacht. Und das wäre wohl noch das Beste
gewesen, das mir hätte passieren können.«
»Glaubst du das wirklich?«, fragte Gwinneth. »Oh, du
Dummkopf. Hast du denn nicht gespürt, dass ich dasselbe
für dich empfinde?«
»Für wen?«, wollte Lancelot wissen. Die nächste Frage
würde sie so sehr verletzen wie die vorhin und es fiel ihm
unendlich schwer, sie auszusprechen. Aber er musste sie
stellen. Wenn er es nicht tat, würde sie unausgesprochen
für alle Zeiten zwischen ihnen stehen:
»Für Dulac, den Küchenjungen, oder für Lancelot du
Lac, den unbesiegbaren Ritter und Helden?«
Und Gwinneth schien das wohl auch zu begreifen, denn
er sah den Schmerz in ihren Augen, als sie seine Worte
hörte, aber sie beherrschte sich und antwortete mit tränenerstickter Stimme: »Aber hast du es nicht gerade selbst
gesagt? Dulac gibt es nicht mehr. Und ich glaube, du
weißt, dass es ihn nie wirklich gegeben hat. Hat Merlin
dich denn gar nichts gelehrt?«
»Merlin?« Lancelot riss erstaunt die Augen auf. »Du
weißt –?«
»Natürlich weiß ich es«, antwortete Gwinneth mit einem
Lächeln. »Mein Gemahl hatte keine Geheimnisse vor mir.
Er hat mir alles erzählt, was er über mich und meine Herkunft wusste und auch über die Artus’ und natürlich vor
allem über Dagda, den wohl schlechtesten Koch und Küchenmeister in ganz Britannien. Ich weiß, wer er war. Ich
wundere mich, dass er es dir nie gesagt hat, wo doch offensichtlich ist, dass er dich in seine ganz spezielle Obhut
genommen hat.«
»Er ist nicht mehr dazu gekommen«, sagte Lancelot
traurig. »Ich glaube, er wollte es. In den letzten Tagen,
bevor das Unglück geschah, hat er mir eine Menge sonderbarer Dinge gezeigt und noch mehr Sonderbares gesagt. Aber Morgaine hat ihn getötet, bevor ich mehr erfahren konnte.«
»Weil sie wusste, dass du die Macht haben würdest, sie
zu besiegen, wäre nur jemand da, um dich zu unterrichten«, sagte Gwinneth. Wie gern hätte er ihr geglaubt.
Aber es war noch nicht lange her, da hatte er auf
schmerzliche Weise erfahren müssen, wie verwundbar und
schwach er war im Vergleich zu Morgaine.
»Warum sagst du es mir nicht?«, fragte er. »Wo ich herkomme. Warum ich hier bin. Was wir sind. Wer ich bin.«
»Ich kann es nicht«, antwortete Gwinneth traurig.
»Kannst du oder willst du nicht?«
»Selbst wenn ich wollte, ich dürfte nicht«, sagte Gwinneth in einem Ton, der ihm klar machte, wie sinnlos jede
weitere Frage in dieser Richtung war. »Es ist Artus’ Aufgabe, dies zu tun. Und er weiß das.«
»Aber –«
»Sei jetzt endlich ruhig«, unterbrach ihn Gwinneth.
»Halt mich lieber fest. Mir ist schrecklich kalt.«
Lancelot wurde klar, dass er sie keineswegs wärmte,
sondern ihrem Körper eher noch Wärme entzog. Das Metall seiner Rüstung war eisig. Indem er sie an sich presste,
musste es sein, als berühre sie blankes Eis.
Hastig nahm er den Arm von ihrer Schulter und entledigte sich seiner Rüstung. Dann ließ er sich wieder neben ihr
nieder und legte erneut den Arm um ihre Schultern. Seine
eigene Körperwärme war alles, was er ihr anbieten konnte.
»Vielleicht sollten wir weiterreiten«, schlug er unsicher
vor. »Die Nacht ist sehr kalt. Wir könnten erfrieren, wenn
wir einschlafen.«
Gwinneth legte den Kopf in seine Halsbeuge und nickte.
»Wahrscheinlich hast du Recht«, meinte sie müde. »Lass
uns nur einen Moment ausruhen. Du bist so
Weitere Kostenlose Bücher