Elbenschswert
dem Gang vor den Kellerverliesen zugetragen hatte, wer
die unheimlichen Eindringlinge gewesen waren und wie
sie hatten entkommen können. Diese Fragen hatten Zeit
bis später. Alles, was sie im Moment interessierte, war das
Leben Galahads.
Und sosehr auch Lancelot um das Leben des Tafelritters
bangte, so sehr erstaunte ihn trotzdem die Reaktion der
anderen. Er kannte all diese Männer nun schon so lange –
viel länger, als irgendeiner von ihnen ahnte – und doch
hatte er sie niemals so erlebt. Sie waren Krieger, die es
gewohnt waren, in die Schlacht zu reiten und ihr Leben
aufs Spiel zu setzen, und ob mit oder Merlins Magie, die
sie schützte, sie riskierten ihr Leben, denn sie waren weder unverwundbar noch unsterblich und der kleine Friedhof jenseits der Stadtmauer war voll von den Gräbern derer, die ihren Treueeid auf Camelot und die Krone mit
dem Leben bezahlt hatten.
Und so hatte er als ganz selbstverständlich angenommen,
dass der Tod einfach zu ihrem Leben gehörte und sie den
Verlust eines ihrer Kameraden zu akzeptieren gelernt hatten, was in gewissem Umfang sicher auch der Wahrheit
entsprach. Früher, wenn sie aus der Schlacht gekommen
und die leblosen Körper eines der ihren mitgebracht hatten, hatten sie meist mit stiller Trauer oder wüsten Racheschwüren reagiert, aber er hatte noch niemals eine so deutliche Furcht um das Leben eines anderen Ritters in einem
ihrer Gesichter gelesen. Allerdings hatte er sie auch noch
niemals in einer solchen Situation erlebt. Vielleicht, gestand sich Lancelot ein, hatte er zumindest einige der Tafelritter bisher falsch eingeschätzt.
Endlich öffnete sich die Tür und der Arzt trat heraus. Er
war ein kleinwüchsiger, schmalgesichtiger Mann mit
schütterem Haar und Händen, die so dünn wie die eines
Skelettes waren. Sein Gewand war voller Blut, und obwohl die rosige Färbung seiner Hände zeigte, dass er sie
sich vor dem Verlassen des Zimmers gründlich gewaschen
hatte, waren unter den Nägeln dünne rostrote Ränder zurückgeblieben, wo Galahads Blut angetrocknet war. Er
hatte schon müde ausgesehen, als man ihn hierher gebracht hatte, und jetzt wirkte er fast zu Tode erschöpft. Als
Artus auf ihn zutrat und in ungeduldigem Ton nach Galahads Befinden fragte, schien er im ersten Moment Mühe
zu haben, den König überhaupt zu erkennen. Dann seufzte
er, senkte den Blick und sagte leise: »Ich habe für ihn getan, was ich konnte. Alles andere liegt in Gottes Hand.«
»Das ist nicht die Antwort, die ich hören wollte«, fuhr
ihn Artus an. Dann schien ihm klar zu werden, dass er
dem Mann Unrecht tat, und fragte in etwas milderem Ton,
aber immer noch mit hörbarer Ungeduld: »Wie stehen
seine Chancen?«
»Er hat sehr viel Blut verloren, Mylord. Aber er ist auch
ein starker Mann. Wenn er diesen Tag überlebt, wird er es
schaffen.«
Artus schloss für einen Moment die Augen und ließ ein
erleichtertes Seufzen hören und der Arzt fügte, ohne Artus
anzusehen, hinzu: »Aber ich fürchte, er wird den Arm
verlieren. Oder ihn zumindest nie wieder gebrauchen können.«
Artus erstarrte. Einen Herzschlag lang starrte er den Arzt
aus aufgerissenen Augen an, dann flüsterte er: »Sir Galahad ein Krüppel?«
»Er wird leben, Majestät«, antwortete der Arzt. »Wir
sollten Gott dafür dankbar sein.«
»Ich glaube nicht, dass Galahad Eurer Meinung ist«,
antwortete Artus zornig. »So wird er nicht leben wollen.«
Er schwieg einen Moment, dann schob er den Arzt einfach
mit der Hand beiseite und trat durch die Tür, und noch ehe
einer der anderen reagieren konnte, folgte ihm Lancelot.
Parzifal und auch Sir Gawain schlossen sich ihnen an.
Das Zimmer war sehr hell und schien von einer Kälte erfüllt zu sein, die nicht so recht zu der Jahreszeit und den
Temperaturen draußen passte. Der Raum war groß, wurde
aber fast zur Gänze von einem gewaltigen Himmelbett mit
geschnitzten Säulen und halb durchsichtigen seidenen
Vorhängen beherrscht, das so aufgestellt war, dass das
Licht der beiden großen Fenster direkt auf denjenigen fiel,
der darin lag und schlief. Sir Galahads Gesicht war fast so
weiß wie das Kissen, auf dem sein Kopf ruhte, und auf
seiner Stirn und seinen Wangen schimmerte ein Netz feiner Schweißtröpfchen.
Der Anblick erinnerte Lancelot auf schreckliche Weise
an die Gesichter der beiden Toten, die sie unten in den
Kerkerzellen gefunden hatten. Galahads Atem ging stoßweise und sehr schnell und seine Schulter war unter
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