Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
früh.«
»Stundenplan?« Schon das Wort war gruselig. Svenya verzog das Gesicht. »So wie früher in der Schule?«
»Ja, aber nicht so lax und uneffektiv wie in den Schulen der Menschen«, sagte er.
»Sondern? Noch schlimmer?«
Raik schaute sie großtuerisch an. »Menschliche Schulen sind doch Kinderkram. Wer soll denn bei zwei Stunden pro Fach und Woche ernsthaft etwas lernen? Nein, Ihr werdet achtzehn Stunden am Tag ausgebildet, Prinzessin.«
»Achtzehn Stunden?! Du hast sie doch nicht alle!«
»Der erste Trainingsblock ist von vier Uhr morgens bis um zehn«, fuhr er unbeirrt fort.
»Vier Uhr morgens?!?«
»Nach dem Frühstück geht es um halb elf weiter bis zur Vesper um halb fünf. Und danach von fünf bis elf.«
Svenya zog scharf die Luft ein. »Bis um elf Uhr abends? Und wann, bitte schön, soll ich denn dann schlafen?«
Raik schaute sie verwundert an. »Na, in der Zeit dazwischen.«
»Von elf bis vier am nächsten Morgen sind es gerade mal fünf Stunden«, rechnete sie ihm vor. »Und in der Zeit soll ich noch duschen, mich anziehen und fertig machen?«
»Wir Elben brauchen nicht mehr als vier Stunden Schlaf«, sagte er. »Es ist also genügend Zwischenraum.«
»Genügend Zwischenraum?«, fragte sie aufgebracht. »Und was ist mit Freizeit?«
»Freizeit?«, fragte Raik.
»Na, Zeit für sich eben, Zeit zum Spielen und Entspannen und Faulenzen«, sagte sie.
»Ah ja«, sagte er. »Davon habe ich gehört. Das ist so ein seltsames Konzept der Menschenwelt. Es kam so vor etwa vierzig oder fünfzig Jahren in Mode und hat seitdem alles durcheinander gebracht. Glaub mir: Die Menschen werden es wieder abschaffen, sobald sie verstanden haben, wie unproduktiv sie seither geworden sind und dass ihnen ihre sogenannte Freizeitgestaltung sehr viel mehr Stress einträgt, als sie angeblich abbaut.«
Svenya schnaubte protestierend. »Gibt es denn wenigstens zwei freie Tage pro Woche?«
»Nein.«
»Einen?«
»Keinen.«
»Ferien oder Urlaub?«
»Auch die nicht«, sagte Raik, und dann lächelte er. »Aber dafür gibt es auch keine Hausaufgaben.«
»Na, da bin ich ja beruhigt«, sagte Svenya und gab sich keinerlei Mühe, die Ironie in ihrer Stimme zu verbergen.
»Ihr braucht dieses Training, Prinzessin«, meinte er. »Sonst könnt Ihr den Test am Ende nicht bestehen.«
»Test?« Alberich hatte kein Wort von einem Test gesagt.
»Darüber macht Euch bitte jetzt noch keine Gedanken«, sagte er beschwichtigend. »Der Test ist erst in sechs Monaten. Jetzt zeige ich Euch erst einmal Eure Unterkunft.« Er machte eine einladende Geste, und sie passierten Hurdh . Svenya hatte nach Raiks Worten das sichere Gefühl, dass das nicht die einzige Hürde war, die vor ihr lag.
Alberich hatte nicht übertrieben. Was vor ihr lag, war tatsächlich ein Palast. Allein die Eingangshalle war gut und gerne zehn auf zehn Meter groß und fünf Meter hoch. Von hier gingen Türen ab und eine breite Freitreppe, die nach oben führte, zu einer weiteren Etage. Am Fuß der Treppe warteten drei Personen auf sie – und ein Wolf. Svenya erkannte ihn sofort. Es war Wargos Wolf, der da neben seinem Herrn stand und sie erwartete. Im hellen Licht der Halle sah Wargo gar nicht mehr so wild aus wie auf dem Dach des Parkhauses und in der Kanalisation. Im Gegenteil, jetzt machte er eher einen sanften Eindruck. Über seinem vormals nackten Oberkörper trug er jetzt eine Weste aus rötlich braunem Wildleder. Er schaute Svenya mit klarem Blick entgegen und verneigte sich, als sie näher kam.
»Wargo kennt Ihr ja schon«, sagte Raik. »Er ist der Hauptmann Eurer persönlichen Leibgarde und euer Lehrer in Nahkampf.«
»Es ist mir eine Ehre, Eure Hoheit«, sagte Wargo und fiel vor ihr auf das rechte Knie.
»Oh, bitte nicht«, rief Svenya, nahm seine Hand und zog ihn zurück auf seine Füße.
»Hier, gleich neben ihm«, sagte Raik, »ist Raegnir, Marschall Eures Hauses und Euer Lehrer in Taktik und Aufklärung.«
Zu Svenyas Überraschung war der Elb uralt. Sein fast weißes Haar war ausgedünnt und seine Haltung gebeugt – er stützte sich auf einen wurzelknorrigen Stock –, aber seine Augen blickten warmherzig und freundlich.
»Eure Hoheit«, sagte auch er. Doch ehe auch er vor ihr auf die Knie gehen konnte, hielt sie ihn davon ab.
»Bitte steht bequem, Raegnir«, sagte sie und musterte den alten Elb neugierig. »Was sind Eure Aufgaben als Marschall?«
»In täglicher Abstimmung mit Euch, Prinzessin, kümmere ich mich eigentlich um alles, was
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