Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
zögerte Svenya. Was hier geschah, hatte den Beigeschmack eines Pakts mit dem Teufel, und sie musste nur einen Blick auf die furchteinflößenden Kreaturen auf den Kuppelgemälden werfen, um zu wissen, wie ihre künftige Hölle aussehen würde.
»Und wenn ich diese Verantwortung nicht übernehmen will?«, fragte sie.
»Ich würde das sehr bedauern«, gestand Alberich. »Aber niemand kann dich dazu zwingen, die Hüterin zu werden.«
»Ihr würdet mich also gehen lassen?«
»Ja«, sagte er. »Ich würde dir, auch ohne dass du den Fluch der Frage heraufbeschwören musst, deine Elbenkräfte und deine Unsterblichkeit wegnehmen, dein Gedächtnis löschen und dich von Hagen zurückbringen lassen in die Welt der Sterblichen.«
»Wo ich dann Laurin und seinen Häschern ausgeliefert wäre«, vollendete Svenya den Gedanken leise.
»So wie alle anderen Menschen dann auch. Nur dass er an dir wesentlich mehr interessiert ist.« Alberich zuckte mit den Achseln. »Aber wieso sollte mich dein weiteres Schicksal interessieren, wenn dir das unsere gleichgültig ist?«
So waren es denn letztendlich – wie bei den meisten Menschen – nicht Güte und Pflichtbewusstsein, auf die Svenya ihr künftiges Schicksal baute … und auch nicht die Sehnsucht nach Bequemlichkeit oder die Gier nach Reichtum. Nein, es war die nackte Angst, die sie schließlich sagen ließ: »Ich akzeptiere.«
10
Aarhain
Laurins Festung liegt in einer Höhle im Steilhang einer sehr viel größeren Höhle. Unterhalb des Fichtelbergs, des höchsten Berges des Erzgebirges zwischen Sachsen und Böhmen. In diese unterirdische Festung hinein gibt es nur drei Eingänge: zwei kleine, die gerade einmal zu Fuß passierbar sind, und einen großen. Durch zwei weitere Mauern geschützt, führt vom Boden der größeren Höhle eine lange, steile und dreimal serpentinenartig geschwungene Rampe hinauf, zu deren Seiten es steil in die Tiefe geht. Diese Rampe ist zusätzlich mit mehreren Toren und Wachtürmen gesichert, so dass jeder Angreifer mühelos mit Pfeilen und anderen Geschossen niedergestreckt werden kann. Keiner Infanterie der Welt, und sei sie noch so stark, würde es jemals gelingen, Aarhain im Sturm zu nehmen.
Im Kern dieser uneinnehmbaren Festung saß Lau’Ley vor einem Kristallspiegel und flocht sich mit Runen gravierte Smaragde in die langen rehbraunen Locken, um den Glanz ihrer großen grünen Augen noch stärker zu betonen. Sie wollte schön sein bei der Rückkehr ihres Geliebten … Laurin. Noch schöner, als sie es ohnehin schon war, mit ihren trotz ihrer Schlankheit üppigen Kurven, dem fein geschnittenen Gesicht mit den vollen Lippen und den kaum sichtbaren, aber alles akzentuierenden Sommersprossen rund um ihre kleine Stupsnase.
Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder würde Laurin erfolglos, also ohne die Auserwählte, zurückkehren, dann brauchte er ihren Trost … oder zumindest ein Ventil, um seinen Zorn zu kühlen. Eines, das sie ihm nur zu gerne sein würde. Sie liebte es, wenn er wild war und rau mit ihr umging. Oder aber seine Jagd war erfolgreich und es war ihm gelungen, der Auserwählten habhaft zu werden – in dem Fall konnte es ganz bestimmt nicht schaden, ihm im Gedächtnis zu halten, dass er bereits liiert war … mit ihr, Lau’Ley … und dass er keine andere Frau brauchte außer ihr … egal wie mächtig die Andere auch sein mochte.
Er bräuchte sie nur für ein Ritual, hatte er gesagt, aber bei Laurin konnte man nie sicher sein, was er wirklich im Schilde führte. Man könnte meinen, nach fast dreitausend Jahren sollte man den Mann, mit dem man Bett und Tisch teilte, doch einigermaßen kennen oder zumindest einschätzen können. Nicht so bei Laurin. Er tat, was er wollte und wie er es wollte – und was er wollte, war so schwer vorhersehbar wie das Wetter in diesen Breitengraden Midgards. Das war, wie Lau’Ley sehr wohl wusste, durchaus ein Teil dessen, was seine ganz besondere Faszination ausmachte, und zugleich war es furchtbar anstrengend und eine nie enden wollende Gratwanderung. Der Schwarze Prinz war kein verzogenes und launisches Königssöhnchen, dem seine Macht zu Kopf gestiegen war – er war bloß das fleischgewordene Abbild absoluter Unabhängigkeit und Freiheit. So scherte er sich einen Dreck darum, wenn seine Meinung von heute aufgrund erneuten Nachdenkens seiner gestrigen widersprach, und genauso wenig kümmerte ihn, was seine Untergebenen davon hielten, dass er, wenn er es für nötig hielt, seinen
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