Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
Magie in ihren Bau geflossen waren. Sie trat an den Rand der Terrasse. Nach unten blickend sah sie, dass ihr Palast bestimmt zweihundert Meter höher als der eigentliche Boden der Höhle lag, wo die Festung mit mehreren Verteidigungswällen umgeben war. Selbst über die große Entfernung hinweg konnte sie zahlreiche, in glänzende Rüstungen gekleidete Wächter und Wächterinnen erkennen.
Tapio stellte das Tablett mit der Pizza auf einen Tisch und teilte sie mit einem großen Küchenmesser in Tortenstücke.
»Das Höhlensystem zieht sich von hier nach Nordwesten bis unter Meißen und in südöstlicher Richtung den Elbfluss entlang, unter dem Elbsandsteingebirge hindurch bis hin zum Böhmischen Mittelgebirge«, sagte Wargo und rückte Svenya einen Stuhl zurecht, damit sie sich setzen konnte. »Dazwischen gibt es eine Abzweigung, die tief unter dem Erzgebirge in Richtung Westen verläuft bis hin zum Fichtelberg. Dort ist auch Aarhain, die Festung Laurins.«
Svenya hatte in den wenigen Jahren, die sie zur Schule gegangen war, in Geografie nie besonders gut aufgepasst, aber auch so konnte sie sich vorstellen, dass Wargo hier von vielen, vielen Kilometern sprach.
»Erzähl mir von diesem Laurin«, wechselte sie das Thema und griff nach einem Stück der köstlich duftenden Pizza, dabei die Teller und das Besteck, die Tapio gerade arrangierte, völlig ignorierend. »Was will er von mir?«
Svenya wollte gerade abbeißen, als plötzlich ein dunkler Schatten mit hohem Tempo und wild knurrend auf sie zusprang. Instinktiv wollte sie ausweichen, doch sie war zu langsam, und auch Wargo hatte nicht mehr die Zeit zu reagieren. Was da auf sie zugesprungen kam, war …
Yulf!
Er sprang über den Tisch und riss ihr dabei die Pizza aus der Hand.
»Scheiße, hast du mich jetzt erschreckt«, rief Svenya, noch während der Wolf auf der anderen Seite des Tisches landete. »Du hättest doch auch Laut geben können, wenn du was von der Pizza abhaben willst.« Trotz ihrer flapsigen Worte steckte ihr der Schreck tief in den Knochen. Möglicherweise hatte sie angesichts all des Neuen, das ihr durch den Kopf schwirrte, zu schnell vergessen, dass sie es nicht mit einem Schoßhündchen zu tun hatte, sondern mit einem Wolf – einem übernatürlichen obendrein.
»Verzeihung Svenya«, sagte Wargo. »Aber das tut er normalerweise nicht. Was ist nur in dich gefahren, Bruder?«
Sie sahen beide erstaunt zu, wie Yulf die Pizza wieder aus seinem Maul fallen ließ und nicht weiter beachtete. Dafür baute er sich jetzt am Tischrand auf und knurrte den Rest der Pizza auf dem Tablett an.
Kaum einen Lidschlag später zuckte Svenya gleich zum zweiten Mal vor Schreck zusammen: Ohne Vorankündigung hieb Tapio mit dem großen Küchenmesser wie mit einem Schwert nach ihrem Hals. Ehe sie überhaupt denken konnte, reagierte ihr Körper bereits, und Svenya stieß sich schnell vom Tisch ab. Sie kippte mitsamt dem Stuhl nach hinten – und wich der tödlichen Klinge nur um Haaresbreite aus.
Sie rollte nach hinten weg und versuchte, auf die Füße zu kommen, um einem zweiten Angriff ausweichen zu können. Aber der ereignete sich nicht mehr, denn Wargo stürzte sich auf Tapio und entwaffnete ihn, ohne dass der schmächtige Kämmerer auch nur eine Chance gehabt hätte.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Wargo in ihre Richtung, ohne Tapio aus den Augen zu lassen, den er jetzt mit dem Pizzamesser in Schach hielt.
»Ja«, beeilte sich Svenya zu antworten, obwohl sie sich alles andere als in Ordnung fühlte. Aber sie lebte noch und war unverletzt. Das war es, was zählte. »Hier ist alles okay.«
»Dein Glück, Verräter«, knurrte Wargo in Tapios Richtung. »Das erspart dir zumindest die Folter. Vorausgesetzt, du sagst uns, auf wessen Soldliste du stehst.«
»Sold?«, spuckte Tapio verächtlich. »Du glaubst, ich hätte das für Gold getan? Nun, es sollte mich nicht wundern, dass jemand wie du nicht weiß, was Loyalität ist.«
»Wie du willst«, sagte Wargo. »General Hagen wird deine Zunge schon noch lösen.«
»Träum weiter, Wolfsjunge«, rief der Kämmerer und duckte sich, schneller als man es ihm zugetraut hätte, nach hinten weg. Ehe Wargo ihn greifen konnte, rannte er zum Rand der Terrasse. Wargo und Yulf stürmten gleichzeitig los, um ihn aufzuhalten. Doch trotz ihrer atemberaubenden Geschwindigkeit kamen sie zu spät: Tapio warf sich bereits mit einem weiten Sprung über den geländerlosen Rand nach draußen, wo er für einen winzigen Augenblick
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