Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
er stieg auf ihrer Sympathieskala ein paar Punkte nach oben. Nur die Sache mit dem Reiten war ihr nach wie vor schleierhaft, denn sie konnte immer noch keine Pferde sehen.
»Ich schlage vor, Ihr aktiviert Euren Panzer, Hoheit«, wandte Raik sich nun an sie. »Ihr werdet zwar heute noch nicht alleine reiten, aber sicher ist sicher.«
»Panzer?«, fragte Svenya hilflos.
Er verdrehte die Augen. »Hat Wargo Euch gestern noch nicht im Gebrauch Eurer Rüstung instruiert?«
»Nein, dazu kamen wir nicht«, sagte sie und sparte sich hinzuzufügen, dass ihnen da wohl ein Mordanschlag dazwischen gekommen war.
»Seht Ihr«, sagte er. »Hättet Ihr mich nicht weggeschickt …«
Den Rest des Satzes ließ er unausgesprochen, doch Svenya spürte, was er damit sagen wollte – dass es gar nicht erst zu dem Attentat gekommen wäre, wenn sie ihn nicht so abrupt hinauskomplimentiert hätte.
»Drückt mit dem linken Daumen auf den Drachenkopf des Emblems auf Eurem Handrücken«, instruierte er sie.
Svenya tat wie geheißen und fühlte, wie plötzlich etwas von ihrer Stirn aus über ihre Augen, ihren Nasenrücken und ihre Wangen hinabfloss. Nichts Flüssiges, aber auch nichts wirklich Festes. Sie tastete dorthin und fühlte mit den Fingerspitzen, dass sie jetzt eine Maske trug. Soweit sie das ohne Spiegel beurteilen konnte, war die Nasenpartie geformt wie der Schnabel eines Greifvogels, und Teile der Maske ragten in zackigen Linien links und rechts über die obere Hälfte ihres Gesichts hinaus.
»Diese Maske ist der Kern Eures unsichtbaren Panzers«, erklärte Raik, »der nicht nur wie ein Helm Euren Kopf schützt, sondern Euren ganzen Körper. Demonstriere bitte, Reyja.«
Ehe Svenya reagieren konnte, hatte die blonde Leibwächterin ihr automatisches Gewehr im Anschlag und feuerte. Svenya schrie auf und sprang instinktiv zur Seite – und obwohl ihr das tatsächlich sehr viel schneller gelang, als sie geglaubt hätte, trafen die Kugeln sie. Das heißt, sie trafen sie nicht wirklich: Sie wurden etwa einen halben Meter vor ihrer Brust von einer unsichtbaren Wand gestoppt und fielen, deformiert vom Aufprall, vor ihren Füßen zu Boden.
»Seid ihr bescheuert?«, rief Svenya.
»Keine Sorge«, sagte Raik. »Euer Ganzkörperschild hält sogar den Beschuss mit einer Panzerfaust aus.«
»Du hättest mich trotzdem vorwarnen können«, sagte sie und gab sich keine Mühe zu verbergen, wie sauer sie gerade war. Prompt verwandelte sich die Freude in Raiks Blick in einen Ausdruck schlechten Gewissens.
»Stellt Euch nicht an wie ein Mädchen!«, schaltete sich Yrr schnippisch ein.
»Ich bin ein Mädchen, verdammt«, gab Svenya zurück.
»Ihr seid eine Elbenprinzessin und die künftige Hüterin Midgards«, widersprach Yrr. »Es wird Zeit, dass Ihr Euch dessen bewusst werdet und Euch entsprechend verhaltet.«
»Yrr«, sagte Raik mahnend. »Du vergisst dich. Und du vergisst, dass sie sich in diesem Moment weder ihrer Kraft noch ihrer Stellung oder ihrer Mission bewusst sein kann.«
»Und das wird sie auch nie, wenn du sie weiterhin mit Samthandschuhen anfasst«, protestierte Yrr.
»Genug«, sagte Raik barsch. »Alles bereit machen für einen eskortierten Ausritt! Das ist ein Befehl, Yrr.«
Yrr funkelte ihn an, doch dann nickte sie und winkte den beiden Kriegerinnen, ihr an den Rand der Plattform zu folgen.
»Ich verstehe immer noch nicht, womit wir ausreiten wollen«, sagte Svenya. »Ich sehe keine Reittiere.«
»Lektion eins Eurer Ausbildung«, grinste Raik. »Immer auch nach oben sehen!« Er zeigte mit dem Finger an eine Stelle oberhalb des Plattformrandes.
Svenya folgte dem Fingerzeig mit den Augen – und erschrak bis ins Mark. Über ihr an der Höhlendecke hingen weit über einhundert Fledermäuse … kopfüber in ihre ledrigen Flügel gewickelt – jede einzelne von ihnen so groß wie ein Pferd!
16
Fledermäuse so groß wie Pferde!
Hatte Svenya anfänglich noch gedacht, dass sie mittlerweile nichts mehr erstaunen könnte, ahnte sie inzwischen, dass wohl noch viele Überraschungen auf sie warteten. Manche davon märchenhaft, andere wie gerade frisch einem Albtraum entsprungen. Letztere überwogen bis jetzt bei weitem.
Sie hörte, wie Yrr einen klickenden Laut mit der Zunge machte. Vier der riesigen Tiere lösten daraufhin ihre fast armlangen Klauen von der Felsendecke und ließen sich in die Tiefe fallen. Svenya vergaß zu atmen, als sie beobachtete, wie die Fledermäuse ihre Flügel ausbreiteten, um den Sturz
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