Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
Kraft, sie zu meistern, und noch so vieles mehr. Macht Euch also bitte keine Sorgen.«
»Woher willst du das wissen?«, fragte Svenya gerührt. »Du kennst mich doch gar nicht.«
Nanna lächelte. »Ich weiß es eben.«
14
Obwohl das Essen sie müde gemacht und die Begegnung mit der freundlichen und fürsorglichen Nanna sie wieder ein wenig beruhigt hatte, fand Svenya in dem riesigen Bett keinen Schlaf. Zu viele Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Es tat ihr unendlich leid, dass Wargo seines Amtes enthoben worden war. Sie mochte ihn und fühlte sich wohl in seiner Gesellschaft. Insgeheim gab sie sich selbst die Schuld an seinem Versagen. Hätte sie ihn wegen ihrer eigenen Einsamkeit nicht zu Vertraulichkeiten aufgefordert, wäre er wachsam geblieben und hätte das Gift in der Pizza selbst entdeckt. Aber so hatte sie ihn abgelenkt mit ihrem Bedürfnis nach Nähe und Freundlichkeit. Sie erinnerte sich noch zu gut daran, wie sie sich gefühlt hatte, als er ihr den Finger unter das Kinn gelegt und ihr Gesicht angehoben hatte, um ihre Niedergeschlagenheit mit Aufmunterungen zu vertreiben. Ihr hatte es gutgetan, ihn aber hatte es seine Stellung gekostet. Sie nahm sich vor, künftig niemanden mehr für ihre Schwächen bezahlen zu lassen.
Sie stand auf und ging unter die Dusche. Das warme Wasser, das aus den großen Brauseköpfen wie ein Sommerregen auf sie niederrieselte, und die Düfte von Gel und Shampoo vertrieben die düsteren Gedanken. Sie würde hart trainieren, schwor sie sich. Sie hatte es satt, schwach zu sein und sich herumschubsen zu lassen. Sie würde die Ausbildung hinter sich bringen und den Test bestehen. Elbenthal könnte wirklich ihr Zuhause werden, das wusste sie jetzt, nach der Begegnung mit Nanna. Aber sie musste sich ihren Platz darin erobern – nicht in den Augen der anderen, in ihren eigenen. Sie wollte, dass ihr all das um sie herum wirklich gehörte – aber nicht geschenkt, sondern verdientermaßen. Und wenn sie dafür Monster jagen musste, dann war das eben so. Immer noch besser als selbst gejagt zu werden oder in ständiger Angst vor einem weiteren Attentat zu leben.
Nachdem sie den Schaum abgespült hatte, stieg Svenya aus der Wanne, trocknete sich ab und stellte sich vor einen der Spiegel. Sie nahm das Pergament zur Hand und las den Text laut vor.
»Tega Andlit dyrglast.
Opinberra dhin tryggr edhli.
Dhin Magn lifnja
Oegna allr Fjandi
Enn Virdhingja af dhin Blodh.«
Wieder fühlte es sich an, als wäre die Luft um sie herum plötzlich mit elektrischer Spannung geladen, und die Verwandlung begann. Mit großer Faszination, für die vorhin vor Schreck und Verwunderung kein Raum gewesen war, beobachtete Svenya jetzt, wie ihre Eckzähne und die Spitzen ihrer Ohren wuchsen. Ihr Haar glättete sich – und trocknete dabei –, und sie konnte sehen, wie sich die Rüstung auf ihrer nackten Haut materialisierte – genau wie die Waffen und das obsidianartige Schmuckstück auf dem Rücken ihrer rechten Hand. Außer den beiden Schwertern hingen an ihrem Gürtel ein Dolch mit schmaler, zweischneidiger Klinge und eine Automatikpistole, die über einen zweiten Gurt durch den taftigen Rock hindurch an ihrem rechten Oberschenkel befestigt war. Sie griff nach dem Stoff des Rocks, aber das bauschige Gewebe wich ihren Fingern mit fließender Geschmeidigkeit aus. Es war wie wabernder, schwarzer Nebel, nicht wirklich greifbar. Im Spiegel betrachtet, wirkte es, als wäre die untere Hälfte ihres Körpers mit dem schwarzen Nebel umhüllt und als schwebte sie aus dem Boden heraus, ohne dass man ihre Konturen erkennen konnte – wie bei einem Geist.
Svenya war gespannt darauf zu erfahren, was Alberich gemeint hatte, als er sagte, dass sie in dieser Gestalt, die er ihre wahre nannte, stärker sei als in der menschlichen. Entschlossen ging sie zu einer der Massageliegen, packte sie mit beiden Händen und versuchte, das schwere Möbel hochzuheben. Und tatsächlich hob sie die Liege nicht nur hoch – sie riss sie förmlich in die Höhe. Es schien ihr, als wöge die Liege fast gar nichts. Svenya konnte sogar eine Hand wegnehmen und sie dennoch spielend hoch über dem Kopf balancieren.
Das war Kraft!
Svenya genoss das aufregende Gefühl. Sie schaute in den Spiegel. Dort sah sie sich selbst und mit welcher Leichtigkeit sie das Möbel trug. Sie wurde ein wenig zuversichtlicher, wenn sie an die Ausbildung dachte. Das waren ja ganz andere Vorzeichen. Sie stellte die Bank wieder ab und sah die
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