Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
Dann trat sie an den Rand der Brüstung und versuchte, mit Zunge und Gaumen den klickenden Laut nachzumachen, mit dem Yrr bei ihrem ersten Ausritt die pferdegroßen Fledermäuse gerufen hatte. Sekunden, die ihr wie Ewigkeiten vorkamen, geschah gar nichts, und Svenya kam sich furchtbar albern vor, nur dazustehen und komische Töne von sich zu geben. Es blieb ihr aber nichts anderes übrig: Sie musste jeden einzelnen ausprobieren, den sie hervorbringen konnte. Schließlich musste sie wohl den richtigen getroffen haben, denn ein Rauschen lederner Flügel erfüllte von oben herab die Luft.
Svenya blickte hoch – gleich drei der Elbenreittiere waren ihrem Ruf gefolgt und flogen nun ungebremst auf sie zu. Ihre dolchlangen Fangzähne blitzten im Licht der Leuchtjuwelen, und ohne Raik und ihre Leibwächterinnen in der Nähe kamen sie Svenya überhaupt nicht mehr so zahm vor. Was, wenn der Laut, mit dem sie sie gerufen hatte, versehentlich ein Ruf zur Fütterung war und die Flemys sie mit ihrem Mitternachtssnack verwechselten? Svenyas Faust krampfte sich um den Griff des Übungsschwertes; die andere Hand legte sie an das Heft von Blodhdansr .
Sicher ist sicher .
Wild flatternd umschwirrten die riesigen Tiere sie wie orientierungslose Motten die Flamme einer Kerze, und Svenya musste mehr als einmal aufpassen, nicht von einem der schlagenden Flügel getroffen zu werden. Nur mit Mühe kämpfte sie die in ihr aufsteigende Panik nieder. Offenbar warteten die Tiere auf einen weiteren geschnalzten oder geklickten Befehl, um zu landen. Svenya hatte aber keine Zeit herauszufinden, wie der wohl gehen mochte. Sie musste weg von hier, und zwar schnellstens.
Sie konzentrierte sich und beobachtete den aufgeregten Flug der Flemys. Dann, als sie den richtigen Moment gekommen sah, sprang sie nach oben – in den Sattel der Fledermaus, die ihr am nächsten war.
Aber wenn sie gedacht hatte, damit sei ihr Ziel erreicht, hatte Svenya sich getäuscht. Schwer getäuscht. Das Tier schrie wild auf und versuchte, sie abzuschütteln.
War es vielleicht möglich, dass die Flemys bestimmten Reitern gehörten? Damit hatte Svenya nicht gerechnet. Wie auch? Sie klammerte sich mit aller Kraft mit den Schenkeln an den Sattel und mit den Fingern in den Pelz der Fledermaus. Die schrie nur noch lauter und begann nun, wie verrückt geworden, in der Höhle hin und her zu flattern – schlimmer als ein bockender Hengst. Tausendmal schlimmer!
Sie schoss nach oben – gegen die Höhlendecke. Nur der Panzer bewahrte Svenya davor, durch den Aufprall zwischen dem Rücken der Flemys und dem nackten Fels zerquetscht zu werden. Dann rollte die Fledermaus sich durch die Luft und krachte rücklings auf den Boden. Svenya war so schwindelig, dass sie beinahe die Orientierung verlor – alles drehte sich mit unglaublicher Geschwindigkeit.
Ich darf mich nicht abwerfen lassen. Sonst ist alles aus.
Hektisch warf sie das Übungsschwert weg, um sich besser festhalten zu können, und belohnte die Attacke der Flemys mit einem Kick ihrer Fersen in die Flanken. Ein Effekt, der nach hinten losging: Das Tier jagte über die Brüstung hinweg nach draußen. Svenya hielt den Atem an – unter ihnen war jetzt nichts als die schier bodenlose Tiefe der Höhle … und die mörderisch spitzen Türme der Festung.
Immer lauter kreischend warf sich die Flemys von einer Seite zur anderen … rammte erst einen der Türme, dann einen zweiten und einen dritten. Svenya fluchte laut. Wenn das Vieh so weitermachte, würde bald jemand auf sie aufmerksam werden. Das durfte auf keinen Fall geschehen. Sie spürte, dass gutes Zureden in dem panischen Zustand, in dem die Fledermaus war, nichts helfen würde – es gab nur eines: Sie musste das Tier neu zureiten … musste sich zu seiner Herrin machen. Und da sie keine Ahnung hatte, wie sie das tun sollte, ließ Svenya ihre Instinkte übernehmen. Sie krallte ihre Finger härter in das Fell und die ledrige Haut und riss den Kopf dicht zu sich heran. Das Tier versuchte, sich zu winden wie ein Hund, der nicht will, dass man ihm ein Halsband anlegt. Doch Svenya war stärker. Sie drückte den Flemys-Kopf in die Richtung, in die sie fliegen wollte – Hauptsache, so schnell wie möglich so weit weg wie möglich von der Festung.
Immer wieder und immer wilder versuchte das Tier, seine Reiterin abzuwerfen oder Svenya an der Felswand abzustreifen – aber zumindest schlug es die gewünschte Richtung ein. Es war ein unnachgiebiger Kampf um die
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