Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
zerbarsten unter dem Aufprall wie Zuckerwürfel unter einem Hammer. Svenya war noch schneller im Schlafzimmer, als sie erwartet hatte … richtete die Mündung auf die erschrocken herumfahrende Figur, die vor dem vom Mondlicht erhellten Fenster stand … und konnte ihren sich bereits um den Abzug krümmenden Finger gerade noch stoppen, als sie erkannte, wer es war.
»Wargo!«, rief Svenya, steckte mit einer blitzschnellen Bewegung die Pistole weg und stürzte sich auf ihn. Brodhir hatte sie verraten, und sie musste seinen Herrn besiegen, ohne ihn zu töten – sonst wäre ihre ganze Flucht sinnlos gewesen.
»Eure Hoh…«, brachte der Mannwolf gerade noch hervor, ehe Svenya gegen ihn prallte und ihn zu Boden riss. Mit der Geschwindigkeit eines Lidschlags verwandelte er sich noch im Fallen in seine Tierform und nutzte den Schwung, Svenya über seinen Kopf hinweg von sich zu katapultieren – durch das geschlossene Panaromafenster hindurch hinaus auf den Balkon der Suite.
Svenya gelang es, auf den Füßen zu landen, und mit einem schnellen Sprung war sie wieder im Zimmer – ihre Rechte so hart gegen sein Kinn schmetternd, dass Wargo quer durch den Raum und durch das Loch in der Badezimmerwand flog. Sie ließ ihm keine Gelegenheit, wieder auf die Füße zu kommen, sondern setzte sofort nach, landete mit gespreizten Schenkeln kniend auf seinem Bauch und hieb mit den Fäusten auf seinen großen Wolfskopf ein. Es war, als würde das Adrenalin in ihrem Blut sich durch die Schläge freien Lauf verschaffen müssen, und obwohl er sich heftig zu wehren versuchte, hatte Wargo nicht die Spur einer Chance.
Erst als sie fühlte, wie der Körper unter ihr immer schwächer wurde und die Versuche, sich zu wehren, aufhörten, hielt sie inne.
Lange nicht so schnell wie eben zum Wolf verwandelte Wargo sich zurück in einen Mann. Sein Jochbein war geschwollen, sein linkes Auge blau und seine Lippen waren aufgeplatzt und bluteten. Sein Blick war mitleiderregend.
»Ich bin nicht hier, um dich aufzuhalten oder zurückzubringen«, sagte er mit vor Schwäche krächzender Stimme. »Ich wollte mich nur von dir verabschieden …« Damit verlor er das Bewusstsein … und Svenya die Fassung.
Wargo war ihr nur gefolgt, um ihr Lebewohl zu sagen, und sie hatte ihn so übel zugerichtet?
Verdammt!
Sie richtete sich eilig auf, packte ihn und zog ihn unter die noch immer laufende Dusche. Obwohl er um einiges mehr wog als sie, war sie stark genug, ihn mit einem Arm aufrecht zu halten, während sie mit der freien Hand den Brausekopf aus der Halterung holte, um ihm das Blut aus dem Gesicht zu spülen. Sie fühlte seinen Puls und stellte erleichtert fest, dass sein Herz noch so kräftig schlug wie sonst auch. Er war nur ohnmächtig. Sie schaltete das Wasser auf kalt … und schon nach wenigen Sekunden kam er wieder hustend und prustend zu Bewusstsein.
»Mann, Mann, Mann«, sagte er krächzend. »Hätte ich gewusst, dass ich mich nur von dir verprügeln lassen muss, um mit dir zusammen unter der Dusche zu landen, hätte ich das schon viel früher getan.«
Svenya lachte befreit. »Was heißt hier verprügeln lassen ? Du hattest nicht den Hauch einer Chance.«
Er grinste – und bereute das sofort, wie sie an dem Schmerzenslaut, den er ausstieß, hören konnte. »Das ist wohl wahr«, gab er zu. »Also hatte Hagen Recht, und du hast dich beim Training unbewusst immer zurückgehalten.«
»Beim Training war ja auch mein Leben nie in Gefahr … oder meine Freiheit«, sagte sie.
»Das sind sie jetzt auch nicht«, erwiderte Wargo. »Wie gesagt, ich wollte mich nur verabschieden.«
»Also hat Brodhir mich nicht verraten?«
»Ganz im Gegenteil«, sagte Wargo. »Ich musste es förmlich aus ihm herausquetschen, als ich merkte, dass irgendetwas ihn todunglücklich machte.«
Svenya war so gerührt, dass sie nicht wusste, was sie sagen sollte.
»Ich fürchte, du solltest mich jetzt loslassen und aus der Dusche gehen, ehe das hier noch peinlicher wird«, sagte er, und sie hätte schwören können, dass er krebsrot im Gesicht wurde. Sie trat einen Schritt zurück und erkannte, was er meinte. Auch ihr schoss sofort die Farbe ins Gesicht.
»Hm«, räusperte sie sich. »D-d-das wollte ich nicht.« Sie stieg aus der Dusche und klappte die Tür zu. Dann konnte sie ein amüsiertes Grinsen nicht mehr unterdrücken. »Aber interessant zu wissen, was dich so alles anmacht.«
Er lachte – und sie konnte hören, dass er auch das sofort wieder bereute.
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