Elbenthal-Saga Bd. 1 - Die Hüterin Midgards
Sofakissen und zog einen Hirschfänger mit einer etwa sechzig Zentimeter langen Klinge hervor. Obwohl fein gearbeitet, war die Jagdbataillonwaffe ein Fliegenschiss gegen alles, was Svenya in den vergangenen Wochen in Elbenthal gesehen hatte. So wie der Kerl selbst nicht mehr war als ein Fliegenschiss. Es war ihm bloß nicht bewusst. Oder aber es war ihm bewusst, und deswegen tat er, was er tat.
Er bettelt doch förmlich darum!
»Leg die Waffe weg, und ich verspreche, dir nicht ernsthaft wehzutun«, sagte Svenya so ruhig sie konnte. Sie wollte vermeiden, dass er etwas Unüberlegtes tat.
Doch Charlie bleckte nur seine vom Nikotin gelben Zähne und führte die Klinge an die Kehle des Mädchens.
Das heißt, das war das, was er vorhatte zu tun. Svenya ließ ihn erst gar nicht zum Zug kommen. Ehe er den Kurzdegen auch nur zehn Zentimeter angehoben hatte, war sie mit fünf schnellen Schritten bei ihm, hatte sein Handgelenk gepackt und ruckartig so verdreht, dass es brach.
Charlie schrie auf und ließ augenblicklich sowohl den Hirschfänger als auch das Mädchen los. Noch ehe die Klinge den Boden berührte, hatte Svenya ihm schon einen Stoß verpasst, der ihn auf das Sofa zurück-schleuderte. So hart, dass es nach hinten umkippte. Und er mit.
»Geh jetzt«, sagte Svenya zu dem Mädchen. »Aber nicht zum Jugendamt. Die glauben dir kein Wort und bringen dich nur wieder hierher zurück.«
Das Mädchen nickte noch einmal – und dann rannte es davon.
»Du Scheißkuh!«, schrie Charlie und brüllte auf vor Schmerz, als er versuchte, sich mit dem gebrochenen Arm aufzustützen, um wieder auf die Füße zu kommen.
»Bleib liegen, oder ich breche dir den anderen Arm auch noch«, sagte Svenya drohend und ging an den Waffenschrank. Mit einem harten Griff riss sie das Schloss auf. »Ich bin nur hier, weil ich eine Waffe brauche.«
»Finger weg«, rief er und rappelte sich auf. »Dir werd ich’s zeigen!« Jetzt wollte er seine Hose hochziehen, aber mit nur einer Hand ging das schwer.
Komm schon, er hat es wirklich verdient, flüsterte Blodhdansr drängelnd. Die Welt wäre ein besserer Ort ohne ihn .
Du verschmähst das Blut einer gegnerischen Flemys, aber das dieser Kakerlake würdest du trinken?, fragte sie zynisch. Ja, Charlie war eine Kakerlake, eine Schabe, mehr war er nicht. Svenya suchte sich zwei identische fünfzehnschüssige Automatikpistolen mit entsprechenden Magazinen und Munition aus. »Die sollten genügen.«
Eine davon lud sie direkt durch und zielte auf Charlie. Das brachte ihn dazu, seine Bemühungen, die Hose hochzuziehen, aufzugeben und dort stehen zu bleiben, wo er war.
»Du wirst nie wieder eines der Mädchen anfassen«, sagte Svenya drohend. »Hast du mich verstanden? Nie wieder wirst du dein schmutziges Ding irgendwo reinstecken, wo es nicht hingehört.«
»Sonst?«, fragte er provozierend. Entweder war er noch dümmer, als Svenya vermutet hatte, oder mutiger.
»Sonst werde ich zurückkommen«, sagte sie – sich der Tatsache wohl bewusst, dass das eine leere Drohung war, da sie für immer von hier fortgehen würde. »Und dann, das schwöre ich dir, wirst du den Tag verfluchen, an dem du geboren wurdest.«
»Bullshit!«, sagte Charlie – und sie feuerte!
Es war nur ein Warnschuss. Er streifte ihn am linken Jochbein.
Sofort ließ er sich auf die Knie fallen, hielt die Hände in die Höhe und rief: »Okay-okay-okay! Ich tu alles, was du sagst.«
»Gut«, sagte sie. »Und vergiss es nicht. Denn beim nächsten Mal werde ich nicht so gnädig sein. Dann wirst du bezahlen, und zwar für alles, was du mir angetan hast … mir und all den anderen.«
Damit sprang sie nach oben aus dem Fenster, rannte über das Dach und ließ sich hinunter auf die Erde fallen, wo sie leichtfüßig wie eine Katze landete.
Jetzt ins Hotel. Ich brauche dringend eine Dusche .
32
Svenya brauchte eine Weile unter der heißen Brause des Hotelbadezimmers, um die Anspannung und die alten Erinnerungen von sich abzuspülen.
Sie wünschte nur, mit den neuen ginge das genauso schnell, doch sie wusste ganz genau, dass sie noch lange an den letzten Wochen würde knabbern müssen. Elbenthal und seine Bewohner hatten einen viel zu tiefen Eindruck hinterlassen. Ja, sie fragte sich sogar, ob es überhaupt möglich war, dass dieser mit den Jahren verblasste. Aber wie konnte sie das jetzt schon beurteilen? Schließlich hatte sie noch keinerlei Erfahrungen mit der Unsterblichkeit und dem ewigen Leben. Woher sollte sie wissen, was
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