Elbenzorn
aus seinem Griff los.
Sie hörte, dass jemand aus der Zuschauergruppe scharf einatmete, und deutete das Zeichen richtig. Sie warf sich zur Seite, und der Schlag streifte nur ihre Schulter.
Rutaaura fuhr herum und sah den Elben ruhig dastehen, einige Mannslängen weit von ihr entfernt. Ihre Augen weiteten sich.
Nebelherz lächelte und deutete auf sie.
»Pass auf«, rief eine Elbin. Rutaaura hob schützend die Hände vor ihr Gesicht. Eine Faust aus Luft schien gegen ihre Handflächen zu schmettern und ließ sie rückwärts taumeln und zu Boden fallen.
»Das ist genug«, sagte unvermittelt eine Stimme. Obwohl sie nur leise sprach, drang sie wie ein Messer an jedes Ohr.
Nebelherz ließ die Hand sinken. »Schneegeflüster, mein Bruder«, sagte er und senkte demütig den Kopf. »Sei willkommen zu Hause.«
Der Neuankömmling ging mit schnellen Schritten auf ihn zu und nahm ihn bei den Schultern. Er murmelte ein paar Worte in das Ohr des anderen, der nur stumm nickte und ging.
Schneegeflüster sah die Zuschauer an, die noch immer auf der Lichtung standen. »Geht nach Hause«, sagte er mit heiserer Flüsterstimme. »Es gibt keinen Kampf.«
Rutaaura sah erstaunt, dass die Elben ihm gehorchten, als wäre er Windgesang. Ohne Widerspruch verließen sie den Platz. Der Elb kam zu ihr und reichte ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen. »Es tut mir leid«, sagte er. »Nebelherz ist ein junger Dummkopf. Hat er dich verletzt?«
Rutaaura verneinte. Der Elb nickte. »Gut. Ich denke, wir beide haben das eine oder andere zu besprechen, aber nicht jetzt. Unsere geschätzte Historikerin wartet auf dich.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf Mondauge, die am Rand der Lichtung stand und sie beobachtete.
Mondauge nahm stumm ihren Arm und führte sie zu ihrer Hütte.
»Was war das?«, fragte Rutaaura.
Die andere schüttelte den Kopf. »Seltsam«, murmelte sie. »Ich frage mich, was er im Schilde führt.«
»Er wollte aus irgendeinem Grund, dass ich mit ihm kämpfe«, erwiderte Rutaaura aufgebracht.
»Nein, der andere. Schneegeflüster.« Mondauge setzte sich auf eine Strohmatte und faltete die Hände im Schoß. »Er ist der Anführer der Unzufriedenen – oder vielleicht sollte ich besser sagen: Unruhestifter – in unserem Volk. Ich hätte erwartet, dass er Nebelherz unterstützt oder zumindest nicht an dem hindert, was er vorhat.«
Sie lächelte Rutaaura zu. »Du hast dich gut gehalten. Es tut mir leid, dass ich dich nicht habe schützen können. Ich bin keine Kriegerin.«
Rutaaura ertappte sich dabei, dass sie zurücklächelte. Sie mochte die ältere Frau. »Wie hat er das gemacht?«, fragte sie. Mondauge verflocht die Finger ineinander. »Ich kann es dir nicht beibringen«, sagte sie. »Aber du wirst es lernen, mit der Hilfe des Steins. Das ist Magie, die auch ich nicht beherrsche – oder zumindest habe ich mich nie darum bemüht. Es gab Wichtigeres.«
Rutaaura nickte. Sie verstand, was Mondauge sagen wollte. »Und was hat er mit ›Hoffnung unseres Volkes‹ und all dem anderen unverständlichen Zeug gemeint?«, fragte sie weiter. »Er meinte, dass du eine Aufgabe hast«, sagte eine andere Stimme. Rutaaura drehte sich um und sah Lootana, die gerade durch die niedrige Tür trat. Sie presste die Lippen zusammen. »Hallo, Mutter«, sagte Lootana und ging zur Feuerstelle, um sich aus dem Teekessel zu bedienen. Rutaaura starrte sie und dann Mondauge an, unsicher, ob sie ihren Ohren trauen durfte.
Mondauge ächzte leise. »Das war nun wirklich nicht allzu geschickt von dir, Tochter«, sagte sie sanft.
»Oh nein«, sagte Rutaaura und machte Anstalten, sich zu erheben. »Bitte, nein. Das ist zu viel!«
»Setz dich wieder hin«, sagte Lootana. Sie hatte sich gegen die Einfassung der Feuerstelle gelehnt und die Arme über der Brust verschränkt. »Du bist erwachsen, Rutaaura. Benimm dich nicht wie ein Kind.«
Der unerwartet scharfe Ton wirkte wie ein kalter Wasserguss. Rutaaura schüttelte sich. Mondauge, die sie besorgt betrachtet hatte, wirkte erleichtert.
Lootana nickte befriedigt. Sie nippte an ihrem Tee und betrachtete dabei die Flecken, die sie gerade auf ihren Ärmel gemacht hatte.
»Ich habe also plötzlich eine Familie«, sagte Rutaaura etwas gefasster. »Nicht nur eine Mutter, die sich bisher wenig um mich gekümmert hat, sondern auch gleich eine Großmutter dazu.« Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Worte ein wenig vorwurfsvoll klangen. »Es wäre nett gewesen, früher davon zu erfahren. Dann hätte ich gewusst,
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