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Elbenzorn

Elbenzorn

Titel: Elbenzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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Eingang gegenüber lag.
    Iviidis folgte ihm hindurch und fand sich in einem großen, dämmrigen Saal wieder. Sie erkannte nicht gleich, wo sie war, und brauchte einen Augenblick, um sich zu orientieren. Dann sah sie, dass sie den Thronsaal betreten hatten. Sie stand hinter dem Doppelthron, der aus dieser Perspektive aussah wie ein gedrungener Baum. Der Boden hinter dem Thron war mit einem dicken Moosteppich bedeckt, der unter ihren Schritten leicht federte. Diffuses Licht fiel durch das belaubte Dach und ließ die kostbaren Wandbehänge schimmern wie gesponnenes Gold. Vor dem Thron lagen Seidenteppiche, deren satte Farben juwelengleich leuchteten.
    Iviidis drehte sich zu ihrem Vater um, der hinter ihr stehen geblieben war. »Was …?«
    »Warte«, sagte er. Dann hörte sie die hastigen Schritte und Broneetes Stimme, die aus dem Saal nebenan kam: » Yun-Ttai ? Ich bringe gute Neuigkeiten!«
    »Hier sind wir«, rief Glautas.
    Broneete erschien in der Tür. Sie atmete schwer vom schnellen Lauf, und sie strahlte über das ganze Gesicht. » Yun-Ttai Glautas – wir haben den Zwerg gefasst. Er strich ums Archiv herum, wahrscheinlich wollte er dort Feuer legen!«
    Iviidis entfuhr ein Fluch.

34
    »E inen Tag und eine Nacht, hast du gesagt?« Rutaaura sah sich missvergnügt um.
    Die Älteste stand an der Kreuzung zweier Stollen und schien sich nicht recht entscheiden zu können, welche Abzweigung sie nehmen sollten. Sie nickte nur und deutete auf den linken Weg, ehe sie sich wieder in Bewegung setzte.
    Rutaaura beugte sich zu Lootana hinüber und flüsterte: »Weiß sie überhaupt, wo es entlanggeht?«
    Lootana verbiss sich ein Lächeln und rollte mit den Augen. »Sei nicht so frech«, wisperte sie.
    »Ich habe dich gehört«, sagte Windgesang und warf einen Blick über ihre Schulter. »Ja, ich weiß, wo es langgeht. Der Weg ist nur nicht jedes Mal derselbe.«
    Rutaaura seufzte. Sie hasste das Höhlenlabyrinth.
    Sie waren in aller Frühe aufgebrochen. Lootana hatte sie geweckt und war dann mit ihr durch den Wald zum Höhleneingang gegangen, wo Windgesang bereits auf sie wartete. »Wir gehen alleine«, sagte die Älteste. Sie sah müde aus und ein wenig besorgt.
    »Ich dachte, Mondauge begleitet uns«, sagte Lootana.
    »Ich brauche hier jemanden, der ein Auge auf meine Kinder hält.« Windgesang lächelte schwach, und Lootana schüttelte den Kopf.
    »Diese dummen Jungen«, sagte sie.
    Sie liefen durch das Gewirr der Höhlen und Gänge, bis Rutaaura einmal mehr vollständig die Orientierung verloren hatte. Es ging steil hinab, dann wieder aufwärts, sie bogen scheinbar willkürlich nach rechts oder nach links ab – und manchmal, wie gerade, stand Windgesang lange vor einer Abzweigung, bis sie sich endlich für einen Weg entschied.
    Es war still und dunkel und beinahe so, als wäre die Welt untergegangen und sie die letzten Elben, die nun bis ans Ende ihrer Tage durch die endlosen Höhlen wandern mussten, ohne je wieder das Tageslicht sehen zu dürfen. Das Gefühl, ein Gebirge über ihrem Kopf zu haben, lastete schwer auf ihr. »Ich weiß nicht, was Trurre daran findet«, murmelte Rutaaura. Lootana sah sie fragend an, aber ihre Tochter erläuterte den Sinn ihrer Worte nicht. Irgendwann machten sie eine Pause an einem kleinen, kreisrunden See. Das Wasser war tintenschwarz und glanzlos wie das Auge eines toten Tieres.
    Windgesang lehnte sich gegen einen riesigen Stalagmiten und schloss die Augen. Lootana hockte sich neben sie und rieb ihre Hände. »Es strengt mich mehr an, als ich gefürchtet habe«, sagte die Älteste. »Es kann sein, dass ich für das letzte Stück der Reise eure Hilfe benötige.«
    Nach einer Weile setzten sie ihren Weg fort. Rutaaura verlor jedes Zeitgefühl. Von Zeit zu Zeit legten sie eine kurze Rast ein, und ein- oder zweimal verteilte Lootana einige Früchte und etwas Brot aus ihrem Rucksack, dann liefen sie wieder weiter. Sie überquerten fragile Brücken aus Stein, erklommen Treppen, deren Stufen von Riesen aus dem Felsen gehauen schienen, so breit und hoch waren sie, dann wieder kletterten sie Pfade empor, auf denen kaum zwei Füße nebeneinander Platz fanden, oder stiegen enge Hohlwege hinab, die in riesige Höhlensäle mit unzähligen Ausgängen mündeten – manche groß wie Scheunentore und andere so winzig wie Schlupflöcher für Elbenkinder.
    Es schien, als seien sie schon Tage unterwegs, als Windgesang für eine längere Ruhepause anhielt. »Wir sollten ein wenig schlafen«, sagte sie.

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